Der deutsche Journalist und Medienkritiker Ulrich Gellermann hat in seinem Meinungs-Blog einen Kommentar zur russischen Militäroffensive in der Ukraine mit dem Titel "Krieg dem Krieg. Bevor Kiew Atom-Macht wird" veröffentlicht.
Er beginnt seine Überlegungen mit einer Äußerung des ukrainischen Botschafters Andrei Melnyk, der noch vor einem Jahr in einem seiner zahlreichen Interviews die atomare Karte gezogen hatte: Für den Fall, dass die Ukraine nicht der NATO beitrete, werde Kiew "vielleicht auch über einen nuklearen Status nachdenken. Wie sonst können wir unsere Verteidigung garantieren?"
Den ukrainischen Verzicht auf Atomwaffen habe er vor wenigen Tagen gegenüber der Berliner Zeitung erneut in Frage gestellt. "Die Kenner der russisch-ukrainischen Gemengelage [hielten] den Atem an: Wie würde Russland auf diese erneute Bedrohung seiner Sicherheit reagieren?" Bei ihrem Gedankenspiel wurde die Ukraine jedoch von ihren "Paten" nicht zurückgepfiffen. Im Gegenteil: Seit Jahren bekomme die Ukraine vom Militärbündnis eine Premium-Behandlung und habe die NATO-Mitgliedschaft in ihrer Verfassung bereits festgeschrieben.
Gellermann geht anschließend auf das aggressive Verhalten der Kiewer Führung gegen die Menschen in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk ein, deren Lage zuletzt immer prekärer wurde: Statt der Umsetzung des Minsker Abkommens und einer Verfassungsreform gab es ständige Angriffe des ukrainischen Militär gegen den Raum Donezk. "Mehr als 10.000 Tote waren das Ergebnis. Die Ukraine verfolgte weiter erbarmungslos ihre russischen Mitbürger."
Als einer der wenigen deutschen Autoren weist er darauf hin, dass auch die Russische Föderation legitime Sicherheitsinteressen habe. "Aber seit dem Ende der Sowjetunion war den Gewinnern des Kalten Krieges die Zerschlagung der Sowjetunion nie genug: Immer mehr Staaten, die früher zum sowjetischen Staatenverbund gehörten, wurden NATO-Mitglieder. Die NATO kreiste Russland immer weiter militärisch ein."
Gellermann wies auf eine bemerkenswerte Rede Selenskijs bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz hin. Die Ukraine habe jedes Recht, wieder eine Atommacht zu werden, unterstrich der ukrainische Präsident und verwies auf das sogenannte Budapester Memorandum, das von den führenden Weltmächten im Jahre 1994 unterzeichnet worden war. Zuvor hatte Kiew nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zugestimmt, sowjetische Atomwaffen im Austausch gegen Sicherheitsgarantien an Russland zurückzugeben.
"In diesen Tagen droht die Ukraine zum Standort von Atomwaffen zu werden. Die ukrainische Weltraumagentur verfügt über Träger-Raketen in ausreichender Zahl, um einen atomaren Angriff auf russisches Territorium zu starten."
In Verbindung mit dem faschistischen Bandera-Kult und der ausufernden Russophobie lasse ein Satz Putins daher besonders aufhorchen: "Wir (werden) die Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine anstreben."
Das macht aus Sicht des Journalisten die Begründung für die "Sonderoperation" Russlands in der Ukraine nachvollziehbar. Russland wolle einer atomaren Erpressung zuvorkommen. Er schließt:
"Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ist die Ultima Ratio eines Landes, dessen Kriegserfahrung im Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion wurzeln. Millionen Opfer führten zu einer Konsequenz: Einen Überfall auf die Sicherheit des Landes und seiner Bürger werden die russischen Erben des großen Krieges nicht dulden. Offenkundig hat die russische Führung einer atomaren Erpressung zuvorkommen wollen und begreift den Einmarsch als Krieg gegen den Krieg."
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