EU-Kommission stuft Atom- und Gaskraftwerke als klimafreundlich ein

Während Deutschland weiter am Ausstieg aus der Atomenergie festhält, zeichnet sich auf EU-Ebene ein Umdenken in Bezug auf die Rolle der Kernenergie bei der Energiewende ab. Einige Staaten kündigten bereits Klagen gegen die Entscheidung an.

Die Kommission der Europäischen Union hat einen Beschluss vorgelegt, der Atomenergie und Erdgas künftig unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltig und klimafreundlich einstuft. Der Beschluss ist Teil der sogenannten Taxonomie, also eines einheitlichen Verfahrens zur Klassifizierung von Technologien als klimafreundlich oder nicht. Zweck des neuen Klassifizierungssystems ist es, mehr Investitionen in "grüne" Wirtschaftsbereiche anzuregen.

EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness verteidigte den Beschluss:

"Der heutige delegierte Rechtsakt mag nicht perfekt sein, aber er ist eine reale Lösung – er bringt uns näher zu unserem Ziel der Klimaneutralität."

Zugleich betonte die EU-Politikerin, dass die Mitgliedsstaaten weiterhin voll dafür verantwortlich seien, ihren eigenen Energiemix zu bestimmen. Die Taxonomie enthalte keine Verpflichtungen, in den vorgesehenen Bereichen Investitionen tätigen zu müssen. Die Entscheidung darüber obliege weiterhin jedem Einzelstaat selbst. Das Modell ermögliche Investoren aber zu sehen, ob mit bestimmten Investitionsmöglichkeiten Atomkraft oder Erdgas gefördert wird.

Der europäische Staatenbund will bis 2050 komplett klimaneutral werden. Dazu bedarf es, laut Schätzungen Brüssels, Investitionen im Umfang von 350 Milliarden Euro.

Die Beschlussvorlage aus Brüssel stuft Investitionen in neue Gaskraftwerke bis zum Jahr 2030 als umweltfreundlich ein – vorausgesetzt, dass sie alte Kohlekraftwerke ablösen und bis 2035 ausschließlich mit klimafreundlicheren Ressourcen wie Wasserstoff betrieben werden können.

Atomkraftwerke sollen sogar bis zum Jahr 2045 als klimafreundlich gelten können, sofern bis zum Jahr 2050 Maßnahmen zur endgültigen Lagerung von radioaktiven Abfallstoffen vorgelegt werden.

Gegen diese Pläne hatten einige Staaten im Vorfeld Widerstand angekündigt. Während Deutschland zwar die Einstufung von Erdgas als klimafreundlich begrüßt und sogar mit durchgesetzt hatte, kritisiert Berlin die Entscheidung bezüglich der Atomkraft. Mindestens zwei Staaten – Luxemburg und Österreich – haben bereits angekündigt, gegen die Vorlage klagen zu wollen. Zudem kritisieren Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden die Einordnung von Erdgas als klimafreundlich.

Scharfe Kritik an der Brüsseler Entscheidung kam auch von den deutschen Grünen, deren neue Vorsitzende Ricarda Lang erklärte:

"Statt Greenwashing zu verhindern, macht die EU-Kommission die Taxonomie damit selbst zu einem Greenwashing-Instrument."

Die CSU hingegen verteidigte die Vorlage. Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der bayerischen Christsozialen im Bundestag, sagte mit Blick auf die Ampel-Parteien, er habe "kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung einen europäischen Vorschlag angreift, ohne zu sagen, wie man an anderer Stelle in einem europäischen Energiemarkt die Energieversorgung sicherstellen könnte."

Die deutsche Entscheidung, zeitgleich aus der Kohle- und Atomkraft auszusteigen, sei einzigartig. Er mahnte, es sei "grundfalsch zu glauben, man könnte unsere Entscheidungen, was den Energiemix in Deutschland anbelangt, auf alle anderen europäischen Länder übertragen."

Die Beschlussvorlage muss noch von einer großen Mehrheit der 27-EU-Mitgliedsstaaten sowie einer Mehrheit im EU-Parlament gebilligt werden. Eine Ablehnung gilt jedoch als unwahrscheinlich.

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