Wie der Wahlkampf in Frankreich vom rechtspopulistischen Narrativ angetrieben wird

Zwar hat er sich noch nicht als Kandidat für die französische Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr erklärt, aber der Journalist, Autor und TV-Hitzkopf Éric Zemmour hat im Rennen um die Präsidentschaft bereits Platz genommen – indem er die Schlüsselthemen diktiert, um die es im Wahlkampf gehen wird.

Ein Kommentar von Paul A. Nuttall

Eine schockierende Meinungsumfrage hat vor einigen Wochen in Frankreich ermittelt, dass die umstrittene Medienpersönlichkeit Éric Zemmour genug Stimmen gewinnen könnte, um im nächsten Wahlgang gegen den Amtsinhaber Emmanuel Macron in die zweite Runde zu kommen. Gemäß der vom Meinungsforschungsinstitut Harris Interactive durchgeführten Umfrage kam Zemmour auf 18 bis 19 Prozent der Stimmen für den ersten Wahlgang, verglichen mit 23 bis 24 Prozent für Macron. Dahinter folgt Marine Le Pen mit 15-16 Prozent. Interessanterweise zeigt die Umfrage zwar, dass Macron den zweiten Wahlgang wahrscheinlich gewinnen würde – unabhängig davon, ob sein Gegner Zemmour oder Le Pen heißt –, aber mit einem viel geringeren Vorsprung als 2017. Vor vier Jahren gewann Macron 66 Prozent der Stimmen gegen Le Pen, dieses Mal kann er nur noch mit 58 Prozent gegen Zemmour und nur 55 Prozent gegen Le Pen rechnen. Das Rennen ist somit offen.

Es besteht kein Zweifel, dass Zemmour das Tempo vorgibt. Er ist im Sommer in den Wahlkampf geplatzt und seitdem in den Umfragen gestiegen. Seine Ideen haben für Aufsehen gesorgt, zugleich wird ihm vorgeworfen, rassistisch, islamfeindlich, sexistisch und homophob zu sein – mit so ziemlich jedem denkbaren "Ismus" wurde er etikettiert. Seine harten Ansichten zur Einwanderung, dem Islam und der Europäischen Union (Zemmour plädiert für einen Austritt Frankreichs) haben die anderen Kandidaten sichtlich aufgeschreckt. Als Reaktion imitieren sie ihn nun entweder oder greifen ihn an.

Die zunächst ambivalente Haltung von Le Pen gegenüber Zemmour, deren Umfragewerte wie ein Stein gefallen sind, hat sich zu einer regelrechten Feindseligkeit entwickelt. Tatsächlich hatte sie ihn bis vor kurzem als Scherzbold abgetan, aber seine Teilnahme am Rennen begrüßt, indem sie sagte: "Ich freue mich immer, dass es zusätzliche Kandidaten gibt, die anfangen, das zu sagen, was wir seit 20 Jahren sagen. Es gab immer schon marginale Kandidaten." Jetzt begrüßt sie seine Kandidatur nicht mehr und geht stattdessen zum Angriff über. Le Pen behauptete kürzlich, Zemmour habe "ein Problem mit Frauen". Als Beweis zitierte sie ein provokatives Buch, das er 2006 geschrieben hatte, in dem er argumentierte, dass Frauen eine angeborene Anziehungskraft auf "den männlichen Sieger" haben. Daher hätten französische Frauen während des Zweiten Weltkriegs erst mit den Deutschen und dann mit den Amerikanern geschlafen.

Doch während Le Pen versucht, Zemmour als Frauenfeind darzustellen – und damit möglicherweise eine Taktik eingeschlagen hat, die seine Anziehungskraft noch untermauern könnte – versuchen andere lieber, ihn nachzuahmen. Niemand tut das offensichtlicher, als die Möchtegern-Anwärter aus den Reihen der traditionellen Mitte-Rechts-Kandidaten. Xavier Bertrand, der in diesem Lager als Favorit für die Kandidatur gilt, startete diese Woche seine Kampagne mit der von Zemmour seit vielen Jahren erhobenen Ankündigung, die Einwanderung unter Kontrolle bringen zu wollen. Bertrand argumentiert, dass niemand mehr am Ruder stehe. Frankreich sei einer Einwanderung ausgesetzt, die niemand mehr länger will. Daher sei es dringend erforderlich, die Kontrolle zurückzuerlangen. Bertrands Hauptkonkurrent Michel Barnier, der Brexit-Unterhändler der Europäischen Union, sagte kürzlich, er wolle alle lokalen Polizeibeamten bewaffnen und im Kampf gegen den radikalen Islam "alle Ausländer ausweisen, die eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung darstellen". Das klingt alles sehr nach Zemmour.

Auch Präsident Macron scheint durch die Umfrage aufgerüttelt genug, um durch ähnliche Forderungen seine Konturen zu schärfen. Tatsächlich wird vermutet, dass auch Macrons jüngste Konfrontation mit dem Vereinigten Königreich bezüglich der Fischereirechte weitgehend darauf abzielte, die wachsende Bedrohung durch Zemmour und Le Pen abzuwehren. Und nun äußert auch er sich kritisch über die Bedrohung durch den "islamischen Separatismus" und erklärt, das Problem sei, "dass der Islam eine Ideologie ist, die behauptet, dass ihre eigenen Gesetze über jenen der Republik stehen sollten". Es scheint, der Schatten von Zemmour hat sich auch über den Élysée gelegt.

Unglaublich ist, dass Zemmour während all dem selbst seine Kandidatur noch gar nicht offiziell erklärt hat. Letzte Woche gab er aber sein bisher stärkstes Zeichen, dass er ins Rennen gehen wird, als er ankündigte: "Alles ist bereit. Ich muss mich nur entscheiden und den Knopf drücken. Ich entscheide, wann und wie. Es gibt viele Leute, die wollen, dass ich Präsidentschaftskandidat werde, viele Leute, die wollen, dass ich Präsident der Republik werde. Ich werde diese Leute nicht im Stich lassen."

Ob er offiziell im Rennen ist oder nicht, spielt momentan jedoch kaum eine Rolle, da eindeutig er es ist, der die Agenda vorantreibt und das politische Rad nach rechts dreht. Tatsächlich tanzen alle anderen potenziellen Kandidaten nach seiner Pfeife, greifen ihn entweder an und verschaffen ihm dadurch noch mehr Öffentlichkeit oder versuchen, Zemmour zu "überbieten". Diese Taktik ist meiner Meinung nach töricht, weil sie die Debatte auf sein Territorium treibt und er in diesen Fragen immer gewinnen wird, da er diese Themen seit Jahren im Fernsehen behandelt.

Schlussendlich ist wohl damit zu rechnen, dass er in den Umfragen weiteren Auftrieb erhält, wenn er wirklich seine Kandidatur erklärt. Das Rennen um den Einzug in den Élysée-Palast im neuen Jahr ist also noch völlig offen. Wir könnten durchaus an der Schwelle zu einer neuen französischen Revolution stehen.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Paul A. Nuttall ist Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und ein prominenter Aktivist für den Brexit.

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