Die Europäische Union (EU) plant, Chatverläufe und gepostete Fotos auf sämtlichen Smartphones automatisch zu durchsuchen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson verfolgt. Andere EU-Abgeordnete wie Patrick Breyer von der Piratenpartei warnen laut einem Bericht der Welt vor dem Vorhaben, da schon bald die Überwachungstechnik CSS auf sämtlichen Smartphones landen könnte.
Die Software CSS (Client Side Scanning) sollte nach einem Plan des IT-Konzerns Apple als Lösung dienen, um gegen Bilder von Kindesmissbrauch auf den vom Konzern hergestellten Smartphones vorzugehen. Um die Verschlüsselung von Chats und Dateien weiter zu gewährleisten, sollten die Bilder dabei bereits auf den Geräten der Nutzer erfasst und kontrolliert werden. Doch Datenschützer liefen gegen die Pläne Sturm, denn mit dieser Technik würde Apple Überwachungssoftware industriellen Ausmaßes auf den Geräten der Nutzer installieren.
In der EU könnte die Überwachungssoftware nun aber bald zum Einsatz kommen. Mittlerweile basieren nahezu alle Messengerdienste auf der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und fallen zudem unter das Fernmeldegeheimnis. Laut Breyer ist dies den EU-Sicherheitspolitikern ein Dorn im Auge und auch die Konzerne wollen weiterhin kontrollieren, wofür ihre Produkte genutzt werden:
"Die US-Anbieter sind 2020 bei der EU-Kommission vorstellig geworden und wollten das legalisieren lassen. Daraufhin wurde im vergangenen Herbst eine Ausnahmegenehmigung für das Scannen persönlicher Chatinhalte auf den Weg gebracht."
Doch es bleibt offenbar nicht nur bei einer Ausnahmegenehmigung: Die EU will eine permanente Gesetzgebung nachlegen, die die Chatkontrolle für alle Anbieter verpflichtend machen soll. Dem aktuellen Entwurf zufolge müssen alle Anbieter auf dem Endgerät selbst eine Kontrollsoftware laufen lassen, mit der via Künstlicher Intelligenz erkannt werden soll, ob etwa verbotene Bilder getauscht werden.
Bereits vor einem Jahr gab es einen ähnlichen Resolutionsentwurf der deutschen Ratspräsidentschaft an die Delegationen der Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat. Als Anlass dafür diente allerdings nicht Kindesmissbrauch, sondern der Terroranschlag von Wien – und das, obwohl der Anschlag nichts mit verschlüsselten Nachrichten, die die Terroristen auf Messengerdiensten austauschten, zu tun hatte. In dem Dokument hieß es, es müsse eine "bessere Balance" zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Bekämpfung von Terrorismus geschaffen werden, die "den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, Transparenz, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit" entsprechen. Aus dem Entwurf geht nicht hervor, wie dies geschehen soll. Doch CSS wäre eine der wenigen Technologien, die die Kontrolle ermöglicht, ohne die Verschlüsselung zu brechen. Oppositionell zum Vorstoß der EU zu arbeiten, sei enorm schwierig, so Breyer:
"Jeder, der das für gefährlich und kontraproduktiv hält, wird in die Ecke des Täterschutzes gerückt."
Doch nicht nur Datenschützer, selbst Experten aus der Polizei sehen das Vorhaben der EU kritisch: So erklärte Daniel Kretzschmar, Sprecher des Bundesvorstandes des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, gegenüber der Welt, es bestehe die Gefahr, dass dadurch Unverdächtige in den Fokus der Ermittlungen geraten. Weiterhin sei es problematisch, dass durch diese Privatisierung die Strafverfolgung nun auch abhängig von den Unternehmen sei. Dies sei eigentlich eine staatliche und hoheitliche Aufgabe.
Auch Thomas-Gabriel Rüdiger, Leiter des Cyberkriminologie-Instituts an der Hochschule der Polizei in Brandenburg, sieht die Pläne der EU skeptisch und verweist darauf, dass 43 Prozent der Straftaten im Bereich kinderpornografische Inhalte auf Kinder und Jugendliche selbst zurückzuführen sind: Wenn eine 13-Jährige ihrem 14-jährigen Freund freizügige Aufnahmen schicke, falle dies bereits in den Bereich Kinderpornografie. Echte Täter würde man damit also eher kaum fassen, denn diese würden dann vermutlich wieder andere Datenträger wie USB-Sticks nutzen.
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