Ein Kommentar von Paul A. Nuttall
Die Tschechen gehen am kommenden Freitag und Samstag zu den Parlamentswahlen, in denen darüber entschieden wird, wer das Land in den nächsten vier Jahren führen wird. Diese Wahlen haben in der internationalen Presse wenig Beachtung gefunden, vor allem, weil der Fokus der Medien auf den Wahlen in Deutschland lag.
Die Tschechische Republik wird seit 2017 von einer Koalitionsregierung geführt. Seniorpartner der Koalition ist die Partei ANO 2011, an deren Spitze der derzeitige Premierminister Andrej Babiš steht. Die Partei von Babiš wird als "populistisch" bezeichnet. Als Verbündeter des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban nahm Babiš kürzlich am Demografiegipfel in Budapest teil, auf dem Babiš und seine Amtskollegen aus Polen, Serbien und Slowenien ihre Absicht ankündigten, sich einer weiteren Masseneinwanderung in Europa zu widersetzen.
Babiš ist auch gegen eine weitere EU-Integration und fest entschlossen, dass der Euro die aktuelle offizielle Währung des Landes, die Krone, nicht ersetzen soll. Er bekräftigte auch, dass seine Partei "die Souveränität der Tschechischen Republik nicht an das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission delegieren" werde.
Jüngsten Umfragen zufolge liegt die Partei ANO 2011 landesweit mit 27 Prozent an der Spitze. Die größten Oppositionsparteien SPOLU (ein Bündnis von Liberalen und Konservativen) und die Partei mit dem seltsamen Namen "Piraten und Bürgermeister" (Piráti a Starostové) haben etwa 21 Prozent der Befragten hinter sich. Beide sind entschlossen, ihre Stimmen in einer Allianz zu bündeln, um Babiš aus dem Amt zu zwingen.
Tatsächlich sagen einige Kommentatoren, die der Politik von Babiš entschieden ablehnend gegenüberstehen, voraus, dass die Tschechische Republik auf eine Verfassungskrise zusteuern könnte. Es wird jedoch erwartet, dass Präsident Miloš Zeman seine verfassungsmäßigen Befugnisse nutzen wird, um den Vorsitzenden der größten Partei zum Premierminister zu ernennen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dies Babiš sein, und es wird ihm die erste Gelegenheit geben, eine Koalition zu bilden. Aber selbst, wenn dieser Fall eintreten sollte, wird er vor einem großen Problem stehen, da seine aktuellen Koalitionspartner derzeit zusehen müssen, wie ihre Unterstützung bei den Wählern ins Bodenlose fällt.
Die Sozialdemokraten, die sich die Macht mit Babiš teilen, erreichen inzwischen nur noch vier bis sechs Prozent an Zustimmung und schaffen somit möglicherweise vielleicht nicht einmal mehr die Fünf-Prozent-Hürde, um Kandidaten ins Parlament zu bringen. Und das bringt Babiš in eine schwierige Lage, denn ohne seinen wichtigsten Koalitionspartner wird er gezwungen sein, sich woanders umzusehen.
Dieses "woanders" ist in diesem Fall am ehesten bei der Partei für Freiheit und direkte Demokratie (Svoboda a Přímá Demokracie – SPD), die mit rund 11 Prozent die europaskeptischste Partei des Landes ist. Die SPD bekennt sich zu einem Gesetz zur direkten Demokratie, das es den Bürgern ermöglicht, Volksabstimmungen zu erzwingen. Außerdem wünscht sich die Partei eine Volksabstimmung über eine verbleibende Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union.
SPD-Chef Tomio Okamura – Sohn einer Tschechin und eines Japaners – hat deutlich gemacht, dass Verhandlungen über einen künftigen Koalitionsbeitritt seiner Partei von der Durchführung eines solchen Referendums abhängig gemacht werden: "Eine der Grundvoraussetzungen für eine mögliche Koalition ist, dass das Regierungsprogramm ein Referendum über den Austritt aus der EU – oder möglicherweise aus der NATO – festschreibt."
Das bringt Babiš nun in eine schwierige Lage, denn obwohl er ein Euroskeptiker ist, rechnet er nicht mit einem baldigen Austritt Tschechiens aus der EU. Darüber hinaus ist er gegen die Idee von Volksabstimmungen, die von Bürgern bestimmt werden. Es solle mindestens verbindliche Hürden geben, wie beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Unterzeichnern, um ein Referendum zu ermöglichen.
Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass ein Gesetz zur direkten Demokratie die Unterstützung einer Drei-Fünftel-Mehrheit sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat erfordern würde. Das Oberhaus, das für sechs Jahre gewählt wurde, wird derzeit jedoch von einer pro-EU-Mehrheit dominiert.
Dennoch kann die Tatsache, dass ein EU-Referendum auf der Tagesordnung stehen könnte, als Wegweiser für die zukünftige Entwicklung der Tschechischen Republik angesehen werden. Und vergessen wir nicht, die Tschechen stehen hier nicht allein. Kürzlich gab es in Budapest Gerüchte über die Notwendigkeit eines Referendums über eine weitere EU-Mitgliedschaft Ungarns.
Die Wahlen in Tschechien am kommenden Wochenende werden, obwohl weitgehend von den Medien ignoriert, faszinierend sein. Aber noch spannender könnte der folgende politische "Kuhhandel" sein, dessen Ausgang Auswirkungen auf den Rest der EU haben könnte.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Paul A. Nuttall ist Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und war ein prominenter Aktivist für den Brexit.