Eine Analyse von Seyed Alireza Mousavi
Nachdem Ankaras Bemühungen gescheitert waren, seine Position in der NATO zu stärken und die Beziehungen zu Washington zu reparieren, traf sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Sotschi. Erdoğans Treffen mit Putin fand eine Woche nach seiner Rückkehr aus New York statt, wo er vor der UN-Vollversammlung gesprochen hatte. Der türkische Staatschef fühlte sich von US-Präsident Joe Biden geringgeschätzt, da dieser Erdoğan im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York nicht zu einem Vieraugengespräch empfangen hatte.
Erdoğan warf den USA in letzter Zeit mehrfach vor, "Terrororganisationen" zu unterstützen, anstatt sie zu bekämpfen, und bezog sich dabei auf die US-Partnerschaft mit den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien.
Seine Abreise aus dem russischen Ferienort Sotschi ohne gemeinsame Pressekonferenz mit Putin zeigt, wie sehr Ankaras Position in letzter Zeit geschwächt wurde.
Anhand des Gipfels wurde deutlich, dass der außenpolitische Spagat der Türkei zwischen den USA und Russland seit Bidens Amtsantritt der türkischen Diplomatie nichts gebracht hat. Ankara steht unter Druck, sich zu mehreren Themen klar zu positionieren. Während Erdoğan Putin signalisiert, dass die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA am Tiefpunkt sind, beliefert er zugleich die Ukraine mit Kampfdrohnen, die dann von Kiew im Donbass eingesetzt werden könnten. Ankara betrachtet die Wiedervereinigung der Halbinsel Krim mit Russland weiterhin als "illegitim", wobei der türkische Staatschef in seiner Ansprache vor der UN-Vollversammlung von der "Annexion der Krim" sprach.
Im Vorfeld des Treffens hatte die Springer-Zeitung Die Welt vor der "Achse Putin-Erdoğan gegen den Westen" gewarnt. "Der Frieden in der Region hängt von den türkisch-russischen Beziehungen ab", unterstrich Erdoğan zu Beginn des Gipfeltreffens mit dem russischen Präsidenten.
Erdoğan bekundete zudem noch einmal sein Interesse an einer weiteren Lieferung russischer Raketenabwehrsysteme des Typs S-400. Niemand könne sich einmischen und beeinflussen, welche Verteidigungssysteme die Türkei bei welchem Land kauft, sagte der türkische Staatschef. Er hatte im Vorfeld des Gipfeltreffens den Kauf der S-400-Luftverteidigungssysteme verteidigt. Auf die Frage der New York Times, ob dieser auf Kosten der Verschlechterung der Beziehungen zu den USA erfolgte Schritt es wert gewesen sei, hatte Erdoğan geantwortet: "Ich denke, es hat sich gelohnt: Wir können unsere Abwehr nach Belieben verstärken."
Die Türkei hatte auf das erste Gipfeltreffen der beiden Präsidenten seit März 2020 gedrängt, um eine weitere Offensive der syrischen Armee in Idlib abzuwenden. Von konkreten Entscheidungen beim jüngsten Gipfeltreffen, besonders mit Blick auf die Lage in der nordwestsyrischen Provinz, wurde zunächst nichts bekannt. Nach einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax wollte der türkische Staatschef Putin in Sotschi dazu bewegen, dass die Angriffe auf türkische Soldaten im Norden Syriens eingestellt werden. Russland will hingegen, dass sich die Türkei aus Syrien zurückzieht. Dennoch ist es vorstellbar, dass Moskau und Ankara einen Kompromiss erzielt haben, in dessen Rahmen Moskau erst mal auf eine Offensive der durch die russische Luftwaffe unterstützten syrischen Armee in der letzten Hochburg der Islamisten verzichtet. Insbesondere, nachdem die Türkei offensichtlich am geplanten Kauf russischer Abwehrsysteme festhält.
Der Kauf weiterer S-400 scheint der einzige Hebel zu sein, über den die Türkei verfügt, um auf Moskau einwirken zu können. Russlands Position ist jedoch ganz klar: Laut Moskau nutzen radikale Dschihadisten türkische Militärposten in und um Idlib als Schutzschild, um die syrische Armee anzugreifen. Das wird Russland auf Dauer nicht tolerieren, sodass die syrische Armee früher oder später grünes Licht zur Rückeroberung Idlibs erhalten wird. Der Einfluss der Türkei ist auch in diesem Jahr weiter geschrumpft, nachdem Israel und die USA begonnen hatten, der russischen Rolle in Syrien mehr Bedeutung beizumessen, um den "iranischen Einfluss" einzudämmen.
Der fluchtartige Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und deren schrittweiser Abzug aus der Region sind ein geopolitischer Wendepunkt, der die Türkei in naher Zukunft dazu zwingen wird, ihre Schaukelpolitik zu beenden und einen klaren Kurs zu fahren. Russlands Position ist hingegen ganz klar: Es plädiert für eine stärkere eurasische Partnerschaft. Nach dem US-Afghanistan-Desaster nutzten kürzlich die Nachbarländer Afghanistans das Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) als Plattform, um die Region nach ihrem Konzept umzugestalten. Beim 21. Gipfeltreffen wurde der Beitritt Irans zur SOZ offiziell genehmigt. Es bleibt abzuwarten, ob auch die Türkei sich von der NATO distanziert, um sich der Achse der Hauptakteure innerhalb der SOZ anzuschließen – Russland, China, Indien, Pakistan plus Iran.
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