von Wladislaw Sankin
Der ukrainische Maidan-Aktivist Oleg Senzow hat weltweite Bekanntheit als angebliches Opfer russischer Willkür und "GULAG"-Häftling erlangt. Russische Behörden hatten ihm den Versuch eines Terroranschlags auf der Krim kurz nach der Wiedervereinigung der Halbinsel mitRussland vorgeworfen und zu einer langen Haftstrafe verurteilt, die er in einem sibirischen Lager absitzen musste. Senzow – und mit ihm auch die ganze westliche "Wertegemeinschaft" – bezeichnete dagegen die Anschuldigungen in Russland als konstruiert.
Politiker und Kulturschaffende des freien Westens forderten von Russland, den "Filmemacher Senzow" unverzüglich freizulassen, eine massive Medienkampagne dauerte bis zu seiner Freilassung an. Obwohl Senzow nicht als Kunstschaffender, sondern als Aktivist und Terrorverdächtiger festgenommen worden war, schrieb damals die Deutsche Filmakademie:
"Oleg Sentsovs Schicksal steht symbolhaft für die Gefahren, denen Kunst und Kulturschaffende bei der Machtergreifung autokratischer Regime gegenüberstehen."
Noch als er in Haft war, bekam Senzow den Sacharow-Menschenrechtspreis vom EU-Parlament verliehen. Er kam im Zuge eines Häftlingsaustausches zwischen Russland und der Ukraine im Jahre 2019 frei. Die Berufsbezeichnung "Regisseur" begründete der Freiberufler Senzow mit seinem bis zum Moment der Festnahme einzigen Amateur-Film "Gamer", den er drei Jahre vor den Ereignissen auf der Krim im Jahre 2011 für zusammengespartes Geld gedreht hatte.
Nun hat Senzow seinen ersten vollwertigen Spielfilm gedreht – über das Banditenmilieu der "wilden" 1990er Jahre in der Ukraine. Der Film war ein gemeinsames ukrainisch-europäisches Projekt, ca. die Hälfte des Gesamtetats von 1,65 Millionen Euro haben diverse europäische Fonds übernommen, darunter der Filmförderungsfonds EURIMAGES des Europarats, das Polish Film Institute, die öffentlich-rechtlichen Sender ARTE und ZDF, die staatliche Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH, die Westendfilme usw. Seine Weltpremiere hatte der Film als ukrainischer Beitrag im Rahmen der Filmfestspiele in Venedig am 13. September.
Kurz vor der Aufführung haben mehrere ukrainische Medien die Teilnahme des Films an diesem angesehenen europäischen Kultur-Event kritisiert. Der Regisseur habe den Neonazi und Straftäter Sergei Filimonow (Instagram-Profil), bekannt auch als "Sohn des Perun" (Perun ist ein heidnischer Donner-Gott, der slawische Odin), die Hauptrolle spielen lassen, sagte der bekannte Videoblogger und Politiker Anatolij Scharij in einem Videobeitrag. Auch andere Medien haben später darüber berichtet.
Scharij hatte schon vor fünf Jahren zur Person Filimonow recherchiert und stellte fest, dass er an einem Angriff auf eine genehmigte Kundgebung hauptsächlich älterer Leute tatkräftig beteiligt war (er schlug eine auf dem Boden liegende Person zusammen); dass er außerdem eine Kampfeinheit der rechtsextremen Miliz "Asow" im Donbass-Krieg leitete und dort unter anderem Bücher und Ikonen verbrannte.
Außerdem war Filimonow in der Gruppe der Fußball-Ultras in London, als dunkelhäutige Fans von Ukrainern verprügelt wurden. Sein Freund "Masur", der auch gerne T-Shirts mit dem Swastika-Symbol trage, habe auf sie eingeschlagen, so Scharij. Der Vorfall ereignete im Jahr 2015 und löste damals international heftige Reaktionen aus. In diesem und im darauffolgenden Jahr hat der jetzt 26-Jährige die zivile Vertretung des Regiments Asow in Kiew und danach die Kiewer Filiale der rechtsextremen Partei Nationales Korps geleitet.
Unsere Recherchen zeigten, dass Filimonow auch einer der Organisatoren der Lebensmittelblockade gegen die russische Halbinsel Krim im Oktober 2015 war – als Koordinator der 16 daran beteiligten Asow-Kämpfer. Nach Angaben von Anatolij Scharij, der auch Vorsitzender der oppositionellen Partei "Partija Scharija" ist, nahm Filimonow erst vor wenigen Monaten an den Angriffen gegen Mitglieder des Stadtrats der ostukrainischen Stadt Kramatorsk teil.
Bekannt ist auch, dass Filimonow Angriffe auf Bauunternehmen im Interesse Dritter organisierte und Wachleute verprügelte.
In der letzten Zeit trat Sergei Filimonow als Organisator der Randale vor dem Präsidentenamt in Kiew in Erscheinung. So wurde im Frühjahr der Haupteingang und die Tafel am Mauerwerk des polizeilich bewachten Gebäudes angezündet und zerstört. Filimonow befindet sich deshalb aktuell unter nächtlichem Hausarrest, was ihn aber nicht daran gehindert hat, für die Teilnahme an dem Film-Festival nach Venedig auszureisen und die Premiere des Films mitzufeiern.
Da er einen Streit mit dem Chef des Nationalen Korps hatte, gründete Filimonow bereits vor einigen Jahren eine eigene ultranationalistische Organisation "Gonor". Seine "heidnische" und äußerst rechtsradikale Gesinnung stellt der heute 26-Jährige selbst gerne zur Schau, was viele Fotos von ihm im Internet auch belegen. In den Medien tritt er allerdings gern als "Aktivist" auf. Für sein gesellschaftliches "Engagement" hat der "Sohn des Perun" sogar ein vom Europarat finanziertes Stipendium bekommen.
Zu seinen "Aktivitäten" zählen u.a. Auseinandersetzungen mit der Polizei und Ausübung von Druck auf Gerichte mittels Kundgebungen für die Freilassung eines weiteren bekannten Rechtsradikalen, Sergei Sternenko, der einen Menschen brutal niedergestochen hatte.
Anatolij Scharij erklärte gegenüber RT DE, dass er das Büro der Festspiele in Venedig auf die Teilnahme von Filimonow aufmerksam machte. "Der Kampf gegen Neonazismus ist mir wichtig, und ich werde solche Vorfälle immer skandalisieren", sagte er: "Ich will, dass europäische Steuerzahler wissen, wen sie mit ihrem Geld fördern."
RT DE machte den europäischen Filmfonds, der den Film finanzierte, auf die Person Filimonow aufmerksam und bat um eine Stellungnahme. Allerdings wurde keine der insgesamt sechs Anfragen bislang beantwortet. Offenbar begriffen die Kulturförderer von ARTE und Co. das Attribut "russisch" vor der Halbinsel Krim im Anfrage-Text als Affront und sahen schon allein deshalb von weiteren Kontakten mit den Fragestellern ab.
Das spricht dafür, dass mittlerweile im europäischen Kulturbetrieb ein geopolitisches Lagerdenken vorherrscht. Mit dieser Ignoranz wird einer Seite im Europarat in diesem Konflikt das Recht auf jeglichen Wahrheitsanspruch verweigert, was mit höheren, "inklusiven" Zielen der Kunst nicht vereinbar ist.
Es ist dem Regisseur Senzow überlassen zu entscheiden, wer in seinem Film die Hauptrolle spielen darf – solange die Darsteller auf der "richtigen Seite" dieses geopolitischen Konflikts stehen. Denn sowohl EU-Politiker als auch ukrainische Rechtsradikale pflegen auch im gesamten transnationalen Europarat die gleiche scharfe Rhetorik gegenüber Russland und der Krim. Die extremistische Kampfmethoden wie Wasserblockade, Angriffe und Sabotageakte könnten zwar unappetitlich sein, aber sie sind schlussendlich gegen den russischen Einfluss gerichtet und werden deshalb toleriert.
Wäre ein Extremist vom Schlage Sergei Filimonow von der anderen Seite gekommen – beispielsweise aus Russland, von der Krim oder den selbstausgerufenen Donbass-Republiken, hätte seine Teilnahme in einem mit europäischen Geldern finanzierten Filmwerk mit großer Wahrscheinlichkeit einen Skandal provoziert, der den Verzicht auf Förderung, deren Annullierung und die Bestrafung der Beteiligten zur Folge gehabt hätte.
Eine entscheidende Rolle aber dürfte die Tatsache spielen, dass der Rechtsextremist in einem Senzow-Film teilnimmt und Oleg Senzow als Märtyrer und Träger diverser westlicher Menschenrechtspreise über alle Zweifel erhaben ist. Überall, wo Senzow auftritt, hetzt er gegen Putin und Russland, seine Äußerungen und Texte in sozialen Medien sind entsprechend martialisch. Wäre Senzow nicht Senzow gewesen, würde er als Hetzer bezeichnet, gesellschaftlich isoliert oder sogar Drohungen ausgesetzt gewesen sein – wie dies inzwischen hierzulande mit Journalisten wie Ken Jebsen passiert ist. Aber für EU-"Europäer" ist Senzow ein Freiheitskämpfer.
Und wie sieht der Regisseur selbst die Wahl des Hauptdarstellers? Die Deutsche Welle fragte Senzow in einem Interview: "Filimonow ist ein ehemaliger Sportler, Fußball-Hooligan, Soldat und Rechtsextremist. Heute sieht er sich als Teil der Zivilgesellschaft und bekämpft die Korruption. Aber Sie haben sich von seiner Vergangenheit nicht abschrecken lassen?" Die Antwort des Regisseurs lautete schmunzelnd:
"Nein, er war genau das, was ich brauchte. Jemand, der in seinem Leben verschiedene Schlachten geschlagen hat und dessen Vergangenheit auch von negativen Erfahrungen geprägt ist. Jemand, der innerlich reif ist. Jemand, der bereit ist, sich Herausforderungen zu stellen. Ich bin froh, dass wir ihn gefunden haben, denn er ist körperlich und geistig für die Rolle geeignet. Außerdem ist er auch ein ziemlich passabler Schauspieler."
Auch der Hauptdarsteller findet seinerseits nette Worte für den Regisseur. Ihm zufolge teilen sie die gleichen Werte ("Oleg ist eine Person, die mir sehr nahe kommt"). In einem Interview sagt Filimonow selbst, dass das Verprügeln der "Separatisten" und "russischen Agenten" eine gute Sache sei – deshalb müsse es in der Ukraine straffrei bleiben. Wir erinnern uns an seine Straßenschlachten – für Filimonow kann als russischer Agent auch jede Person gelten, die einen Veteranenorden trägt – oder einfach eine rote Fahne, denn die rote Fahne ist in der Ukraine inzwischen per Gesetz als "totalitäres" Symbol verboten.
Er beschreibt auch, dass seine schauspielerischen Qualitäten bei den Proben keine Rolle gespielt haben – er und Regisseur hätten sich nach der ersten Probe über Politik unterhalten und viel Gemeinsames entdeckt. Senzow sei wie er ein ukrainischer Patriot, lobte ihn Filimonow.
War für Senzow die neonazistische Gesinnung und Teilnahme an Gewalt wie etwa die Angriffe auf Menschen, Sabotageakte oder symbolische Bücherverbrennung im Nazi-Stil deshalb ein positives Zeichen der "inneren Reife", weil er selbst in solchen extremistischen Kategorien denkt?
Am 10. August 2019 hat Oleg Senzow auf der Pressekonferenz vor ukrainischen Journalisten zugegeben, u.a. an den Gesprächen über "Sprengungen und Brandstiftungen" im Zuge von Protestaktionen auf der Halbinsel Krim im April 2014 beteiligt gewesen zu sein. An anderer Stelle hat er behauptet, friedliche Proteste seien auf der Krim "unmöglich" gewesen. Er sagte auch, seine Rückkehr auf die Krim sei "nur auf Panzern" möglich.
"Ich habe gegen Russland gekämpft, wie es meinerseits möglich war, aber dies waren keine kriminellen Handlungen. Es ist verständlich, dass es ihnen [dem FSB] nicht behagte", sagte er.
Extremismus hin oder her – es wäre naiv, vom westeuropäischen Filmbetrieb ein Umdenken zu erwarten. Er ist fest in das (geo-)politische Geschäft eingebunden und erfüllt nach bestem Wissen und Gewissen eine Propaganda-Funktion, wie RT DE schon einmal am Beispiel der Deutschen Filmakademie aufgedeckt hatte.
Die böse Ironie besteht darin, dass der Nazi-Vergleich, den die "Deutsche Filmakademie" bereits einmal in ihrem Zorn gegenüber Russland wagte, jetzt gegen die europäische Filmförderung zurückschlägt. Wir erinnern uns an das am Anfang des Artikels angeführtes Zitat, wonach Senzow mit seiner "Kunst" gegen die "Machtergreifung autokratischer Regime" kämpfen wolle.
Der Terminus "Machtergreifung" steht im deutschsprachigen Raum ganz klar für die Ereignisse des Jahres 1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und dann die uneingeschränkte Machtübernahme der NSDAP vollzogen wurde. Eine wissenschaftliche Abhandlung dieser Frage ist hier nachzulesen.
Damit hatte die selbsternannte Deutsche Filmakademie mit einem Federstrich Russland zum Pendant Hitlerdeutschlands auserkoren und den Prozess gegen Oleg Senzow mit dem Kampf der Nazis gegen "entartete Kunst", auch durch Bücherverbrennung und Verfolgung kritischer Intellektueller, gleichgesetzt.
Nun hat aber Senzow selbst einen Darsteller für seine Filme gefunden, der mit der Verbrennung der angeblich "entarteten" Bücher aus der Sowjet-Zeit und christlicher Ikonen und seinem Dasein als rechtsextremer Schläger Nazismus unmittelbar nachahmt.
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