Die belgische Regierung plant eine systematische Rückgabe von geraubten Kulturgüter aus der ehemaligen Kolonie Belgisch-Kongo. Davon betroffen ist insbesondere die Sammlung des Königlichen Museums für Zentralafrika (kurz: Afrikamuseum) in Tervuren bei Brüssel, das einst den Mittelpunkt der Verehrung der belgischen Kolonialgeschichte darstellte. In einer umfassenden Generalüberholung, die laut der Nachrichtenagentur Reuters etwa 75 Millionen Euro kosten soll, plant die Museumsdirektion einen Entkolonialisierungsprozess zu durchlaufen. Dabei sollen in Absprache mit der Regierung der Demokratischen Republik Kongo, dem größten Nachfolgestaat der Kolonie Belgisch-Kongo, etwa 2.000 Objekte – wie Kunstgegenstände, Musikinstrumente und Waffen – zurückgegeben werden.
Mit diesem Vorhaben folgt die belgische Regierung einer in den vergangenen Jahren von Aktivisten – unter anderem der Black-Lives-Matter-Bewegung – angeregten Initiative, die eigene Kolonialgeschichte und -verantwortung zu reflektieren. Als Teil dessen wurde eine politische Debatte um das Erbe des belgischen Königs Leopold II. (1835–1909) losgetreten, der zwischen 1885 und 1908 alleiniger Eigentümer der belgischen Kolonie unter dem Namen "Kongo-Freistaat" gewesen war. Unter Leopolds Herrschaft waren unzählige Gewalttaten an den Einwohnern der Kolonie verübt worden, die sogenannten Kongogräuel. Schätzungen zufolge hatten dabei bis zu zehn Millionen Kongolesen – die Hälfte der damaligen Bevölkerung – ihr Leben verloren.
Symbolträchtig war die Entfernung der Statuen von Leopold II. im vergangenen Jahr. Als weiterer Schritt der "Entkolonialisierung" soll nun die Rückgabe von Kulturgütern erfolgen. Der belgische Staatssekretär für Wissenschaftspolitik, Thomas Dermine, machte gegenüber Reuters deutlich:
"Unser Ansatz ist sehr einfach: Alles, was durch illegale Methoden angeeignet wurde, durch Diebstahl, durch Gewalt, durch Plünderung, muss zurückgegeben werden. Es gehört uns nicht."
Dieser Ansatz macht gleichzeitig deutlich, dass weder die belgische Regierung noch das Afrikamuseum gewillt sind, alle Kulturgüter aus der ehemaligen Kolonie zurückzugeben. Obwohl der Großteil der Objekte des Afrikamuseums – etwa 85.000 von 120.000 Gegenständen – aus der Kolonie Kongo stammen, gilt derzeit nur ein kleiner Teil als illegal erworben: zwischen 1.500 und 2.000 Objekte.
Die Museumsdirektion gab allerdings laut einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian an, dass 40.000 weitere Objekte ebenfalls unter diese Kategorie fallen könnten, wenn die Definition von "Aneignung auf illegale Weise" erweitert würde. Bislang fallen Objekte, die von belgischen Kolonialverwaltern als "Geschenke" angenommen wurden, nicht darunter.
Der Direktor des Afrikamuseums Guido Gryseels erklärte, das Museum sei "sehr offen" für Gespräche mit den Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda, das nach dem Ersten Weltkrieg von einer deutschen zu einer belgischen Kolonie geworden war, und habe diesen bereits ein Inventarverzeichnis zukommen lassen. Eine Kommission von belgischen und kongolesischen Experten solle noch in diesem Herbst zusammenkommen, um über einen sicheren Transfer der Gegenstände zu beraten. Gryseels warnte aber vor einer übereilten Rückgabe:
"Dieser Dialog wird mit Sicherheit mehrere Jahre dauern. Das Nationalmuseum in Kinshasa [der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo – Anm. d. Red.] kann nicht mehr als 12.000 Objekte aufnehmen."
Gryseels betonte, die Lagerungsschwierigkeiten seien zwar kein prinzipieller Hinderungsgrund für die Rückgabe, er hoffe aber auf eine andere Lösung – etwa Leih-Arrangements. Gegen eine Zahlung von Leihgebühren verblieben die Kulturgüter dann im Afrikamuseum in Belgien.
Eines der populärsten Objekte, das möglicherweise zurückgegeben werden könnte, ist die Lusinga-Statue, gemacht aus Holz, Glas und Federn. Sie gehörte einst dem Oberhaupt des Tabwa-Volkes, Lusinga Iwa Ng'ombe. Lusinga wurde 1884 von belgischen Kolonialtruppen ermordet und enthauptet.
Die sogenannte Strafexpedition wurde angeführt von Émile Storms, der sich auf diese Weise etwa 340 Kulturgegenstände angeeignet haben soll – darunter etwa 100 Waffen. Nach dem Tod seiner Witwe wurden alle dem belgischen Afrikamuseum übergeben. Da die Museumsmitarbeiter jedoch für einen großen Teil der Objekte nicht ermitteln konnten, wie Storms sich diese angeeignet hatte, wurden sie der Kategorie "unbekannte Herkunft" zugeteilt – und nicht "illegal angeeignet". Sie werden entsprechend nicht der Demokratischen Republik Kongo übergeben.
Museumsdirektor Gryseels verteidigt auf Nachfrage von Reuters seine Mitarbeiter: Es könnte Arbeit "für die nächsten zehn bis 20 Jahre sein", um definitiv die Herkunft und die Aneignungsumstände für alle Objekte im Museumsbesitz zu klären.
Weniger Verständnis zeigt Placide Sanger Mumbembele, Professor für Anthropologie an der Universität Kinshasa und derzeit am Afrikamuseum beschäftigt. Für Mumbembele ist die ganze Frage leichter zu beantworten:
"Diese Objekte müssen zurückkehren in ihren natürlichen Kontext. Ich verstehe nicht, warum wir so viele Fragen stellen müssen. Es ist so, als hätte dir jemand dein Portemonnaie gestohlen und würde nun fragen, ob du bereit bist, es zurückzubekommen, oder nicht."
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