Wien ist schon in manchem Vorbild gewesen, im sozialen Wohnungsbau beispielsweise. Ob die neuesten Maßnahmen als wegweisend gelten können, ist aber umstritten. Schon Anfang des Monats wurde dort für Neueinstellungen im Gesundheitsverbund, in dem sich alle großen Klinken und viele Pflegeheime der Stadt befinden, eine Impfung gegen COVID-19 zur Voraussetzung gemacht; und zwar nicht nur für Pflegekräfte, sondern auch für Putzfrauen und Verwaltungspersonal. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) will das mindestens noch auf den gesamten Sozial- und Gesundheitsbereich ausdehnen.
Auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) setzt auf Zwang und will diesen auch auf das Kinderbetreuungspersonal ausweiten. Kärnten und Oberösterreich hingegen setzen auf Freiwilligkeit. Die Debatte, ob es zu einer landesweit einheitlichen Regelung kommen wird, läuft noch.
In Großbritannien soll, sofern der Gesetzentwurf aus dem Department for Health and Social Care durchs Parlament geht, ab Oktober eine 16-Wochen-Frist beginnen, nach deren Ablauf jeder, der in einem Pflegeheim arbeitet, das von der Pflegequalitätskommission überwacht wird, entweder einen kompletten Impfschutz oder ein Attest über eine medizinische Ausnahme vorlegen muss. Das gilt auch für freiwillige Betreuer oder für Dienstleister, wie Friseure oder Fußpfleger, die gelegentlich in den Pflegeheimen tätig sind. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock möchte diese Pflicht sogar auf den gesamten Gesundheitsbereich ausdehnen.
Die Wiener Regelung ist mit ihrer Beschränkung auf Neueinstellungen an einem nicht unwichtigen Punkt vorsichtiger. Nachdem die Impfung vor Einstellung verlangt wird, entgehen die Betriebe im Wiener Gesundheitsverbund einem Problem, dessen Umfang nach wie vor schwer abzuschätzen ist: der Haftung für mögliche Impfschäden. Wird ein Beschäftigter nämlich von seinem Arbeitgeber zu einer Impfung verpflichtet, ist letzterer automatisch für alle Folgen haftbar.
Die britische Regierung ist risikobereiter; die Impfungen erfolgen in Großbritannien überwiegend mit Astra Zeneca, und bei dieser Impfung ist die Hauptrisikogruppe weiblich, ebenso wie die meisten Beschäftigten in Pflegeheimen. Nachdem die Impfpflicht sich dort auch auf all jene bezieht, die bereits in den Einrichtungen arbeiten, dürften diese sich einer Haftung für mögliche Impffolgen schwer entziehen können. "Haushaltsausgaben in nicht quantifizierbarer Höhe", nannte das der Bundestag bei seiner Regelung von Entschädigungsansprüchen für Impfschäden durch die freiwillige Impfung.
Die beabsichtigte Einführung der Impfpflicht löst auch in Großbritannien keine umfassende Begeisterung aus. Schottland, Wales und Nordirland verzichten auf die Umsetzung, und ein britischer Gewerkschaftsvertreter meinte bereits, mit Einführung der Impfpflicht würden in der Pflege, die dort ebenfalls ein Mangelberuf ist, bis zu 15.000 Beschäftigte ihren Job aufgeben.
Genau an diesem Punkt steht auch in der BRD jede Debatte über eine Impfpflicht in Pflegeberufen vor einem unlösbaren Problem. Eine weitere Verschärfung des Pflegekräftemangels dadurch ließe sich nicht kompensieren. Es gab durchaus bereits Fälle, in denen die Arbeitgeber Druck auf die Beschäftigten ausgeübt haben, sich impfen zu lassen; dies ist allerdings, so die Aussage eines Anwalts gegenüber der Welt, unzulässig, und entsprechende Klauseln in Arbeitsverträgen unwirksam.
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