Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat die umstrittene Begnadigung aller neun hinter Gittern sitzenden Anführer der Unabhängigkeitsbewegung der Konfliktregion Katalonien angekündigt. Er werde den Begnadigungsbeschluss für die Politiker und Aktivisten am Dienstag vom Ministerrat in Madrid absegnen lassen, erklärte der sozialistische Politiker am Montag in der katalanischen Hauptstadt Barcelona.
Man ergreife diese Maßnahme "für die Eintracht", erklärte Sanchez.
"Wir entlassen neun Menschen aus der Haft, symbolisch werden aber Millionen in das Zusammenleben einbezogen."
Sánchez beendete seine Rede vor Vertretern der katalanischen Zivilgesellschaft mit den Worten: "Katalonien, wir lieben dich!"
Die Begnadigung der Separatisten um den zu 13 Jahren Haft verurteilten Ex-Vizeregionalchef Oriol Junqueras, die auch weiterhin die Abspaltung ihrer Region von Spanien anstreben, wird dagegen von der konservativen Opposition scharf kritisiert. Vor gut einer Woche versammelten sich Zehntausende in Madrid, um dagegen zu protestieren. Aber auch radikalere Separatisten und zahlreiche Vertreter der Regionalregierung weisen die Maßnahme als ungenügend zurück und fordern die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums.
Nach Meinung der Regierung in Madrid war es Russland, das Spanien die innenpolitischen Verwerfungen rund um das Referendum eingebrockt hätte. Über Moskaus Absichten – was die Europäische Union anbelangt – bestehen in Brüssel, Paris und Berlin ohnehin wenig Zweifel. Des Kremls oberstes Ziel sei es demzufolge, die EU zu "spalten" und zu "destabilisieren". Dafür greife Russland auch gerne in Wahlen ein, um seine dubiose Agenda voranzutreiben.
Auch in Madrid bediente man das entsprechende Narrativ. Prominentes Beispiel war das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien 2017 – das zuvor vom spanischen Verfassungsgericht als rechtswidrig eingestuft worden war. Das Referendum resultierte dennoch in einem Unabhängigkeitsbeschluss der Regionalregierung in Barcelona. Was dann folgte, das waren wochenlange Massenproteste und Inhaftierungen der katalanische "Separatistenführer". Anschließend war Katalonien im Herbst 2017 von der damaligen konservativen Zentralregierung von Mariano Rajoy unter Zwangsverwaltung gestellt worden.
Und schnell war der Schuldige für die innenpolitischen Spannungen identifiziert: Russland und die von der russischen Regierung initiierten und vielzitierten "Desinformationskampagnen". So erklärte etwa der damalige spanische Außenminister Alfonso Dastis, dass nach Ansicht der spanischen Regierung russische Online-Hacker in Kataloniens Unabhängigkeitsreferendum eingegriffen hätten.
Wie er zu berichten wusste, stammten 50 Prozent der identifizierten "Fake Accounts" aus Russland. Nach Ansicht von Dastis weise dies auf ein Muster hin, wie es auch bei anderen Wahlen stattgefunden habe. Der Mühe, dafür Beweise vorzulegen, unterzog sich die spanische Regierung nicht. Sichere Beweise dafür wollte allerdings die damalige spanische Verteidigungsministerin a.D. María Dolores de Cospedal gehabt haben.
Auch der Senator des Baskenlands im Oberhaus des spanischen Parlaments, Jon Iñarritu García, wusste von einer "offensichtlichen" Einmischung Russlands in das Unabhängigkeitsreferendum zu berichten. Doch damit nicht genug: Moskau soll den Separatisten sogar unmittelbar vor Beginn des Referendums die Entsendung von 10.000 Soldaten in Aussicht gestellt haben. In den perfiden russischen Desinformations-Plot seien neben dem russischen Auslandsgeheimdienst zudem die russischen Medien RT und Sputnik involviert gewesen. Die russische Regierung hatte die Anschuldigungen allerdings ohnehin stets als haltlos und absurd bezeichnet.
So nannte der russische Außenminister Sergei Lawrow Mitte November 2017 das nicht besonders originelle Vorgehen der westlichen Länder, Russland für die eigenen internen politischen Spannungen verantwortlich zu machen, einen Versuch, "die Aufmerksamkeit der Wähler von ihrer eigenen Unfähigkeit abzulenken, diese internen Probleme zu lösen".
Davon unbeeindruckt schossen auch hierzulande die Spekulationen und Mutmaßungen zur vermeintlichen Rolle Russlands ins Kraut und brachten für die Leser damit einmal mehr Russland in einen Zusammenhang mit angeblichen "Desinformationskampagnen" und "Wahleinmischungen".
Von den Qualitätsmedien und damit auch der Öffentlichkeit hingegen kaum wahrgenommen wurde die Implosion der russischen Einmischungsblase in Spanien. Unter dem Titel "Separatisten mit russischer Hilfe" schrieb die Süddeutsche Zeitung noch Ende November 2019: "Das höchste Gericht ermittelt gegen Agenten des Moskauer Militärgeheimdienstes, die offenbar im Konflikt mit Katalonien mitmischten."
Nun war es allerdings besagtes Gericht, Spaniens Nationaler Gerichtshof, das den Fall – von den Qualitätsmedien und damit auch von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet – im Juli 2020 zu den Akten legte – aus Mangel an Beweisen. Es seien nicht die "geringsten Hinweise auf ein Verbrechen" gefunden worden. Das Gericht hatte das Verfahren zur "russischen Einmischung" auf Grundlage eines Polizeiberichts im November 2019 eröffnet.
Doch erst im vergangenen Monat wurde bekannt, dass der als geheim eingestufte Fall eingestellt wurde, nachdem das spanische Nachrichtenportal Eldiario.es darüber berichtete.
"Nichts wird von der Polizei zur Verfügung gestellt, das uns erlaubt, diese Untersuchung aufrechtzuerhalten (...)."
Laut dem spanischen Medium warf der stellvertretende Generalstaatsanwalt Miguel Angel Carballo der Polizei vor, sich nur auf die Zeugenaussage eines Informanten und auf "Links" von Medienberichten gestützt zu haben. Bei diesen Links handelte es sich offenbar auch um Berichte des Medienportals Bellingcat, wonach der russische Auslandsgeheimdienst GRU – und insbesondere die GRU-Einheit 29155 – sich in das Referendum eingeschaltet hätten.
Zuvor hatte sich sogar der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg angesichts der vermeintlichen Einmischungsbemühungen Russlands in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten Ende Januar 2018 empört gezeigt. Nach Gesprächen mit dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy gab Stoltenberg zu Protokoll:
"Wir haben in unserem Treffen die Berichte über Einmischungsversuche Russlands in mehreren Ländern diskutiert und angesprochen. Jegliche Einmischung von außen ist natürlich inakzeptabel, und wir nehmen dies sehr ernst."
Hintergrund waren auch hier die bis dato unbewiesenen Vorwürfe an die Adresse Moskaus, sich nicht nur in die US-Wahlen eingemischt, sondern es auch auf Wahlen und politische Prozesse innerhalb der EU abgesehen zu haben – darunter auch in Deutschland. So berichtete etwa die spanische Zeitung El Pais im September 2017 über die russischen "Einmischungsmaschine":
"Das Netzwerk von Fake-News-Produzenten, das Russland eingesetzt hat, um die Vereinigten Staaten und die Europäische Union zu schwächen, läuft nun in Bezug auf Katalonien auf Hochtouren, wie detaillierte Analysen von Pro-Kreml-Webseites und Social-Media-Profilen durch diese Zeitung zeigen."
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