Der Ball rollt wieder, die Fans – oder zumindest ein Teil – dürfen wieder in die Stadien. Mit der Europameisterschaft kehrt nach der coronabedingten Stille auf den Zuschauerrängen langsam die Normalität in die Fußballwelt zurück. Doch mit der Rückkehr des Publikums in die Stadien wird auch die Kontroverse um eine Geste deutlicher.
Es geht um das Hinknien vor dem Anpfiff als Zeichen gegen Rassismus. In der Black-Lives-Matter-Bewegung spielt der Kniefall eine zentrale Rolle. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz ist dieser zu einem Symbol gegen rassistische Polizeigewalt und Rassismus im Allgemeinen geworden. Auch in der Fußballwelt will man ein Zeichen setzen.
Doch bereits vor dem Start der Europameisterschaft (EM) sorgte die Geste für Debatten – vor allem in England. Seit dem EM-Spiel am Samstagabend in der Gruppe B zwischen Belgien und Russland beherrscht das Niederknien erneut die Schlagzeilen.
Kurz vor Anpfiff gingen die Fußballer der belgischen Nationalmannschaft in die Knie, die russischen Spieler blieben stehen. Von den Zuschauerrängen in der russischen Arena kamen Pfiffe und Buhrufe.
Nach dem Spiel und der 0:3-Niederlage des russischen Nationalteams wurde der Trainer der russischen Nationalmannschaft Stanislaw Tschertschessow bei der coronabedingt digitalen Pressekonferenz auf den Vorfall angesprochen. Ein Journalist wollte von dem früheren Profi von Dynamo Dresden wissen, wie er denn das Knien der Belgier als Zeichen gegen Rassismus bewerte. Der 57-Jährige antwortete:
"Das ist keine Frage, die mit Fußball zu tun hat. Wenn Sie eine haben, stellen Sie mir dazu eine."
Vor dem EM-Start verwiesen Gegner dieses Vorgehens stets darauf, dass es sich hierbei um eine politische Geste handelt, die im Fußball gemäß den Disziplinarregularien der UEFA untersagt ist. Doch der europäische Fußballverband selbst sieht darin ein Engagement der Spieler gegen Rassismus, wofür die UEFA selbst einstehe. Laut einem ARD-Bericht habe die UEFA gegenüber der Sportschau mitgeteilt:
"Jeder Spieler, der eine Gleichstellung von Menschen fordert, indem er sich niederkniet, hat die Erlaubnis dazu."
Mehrere Nationalteams kündigten jedoch an, sich daran nicht beteiligen zu wollen. Andere überließen die Entscheidung jedem ihrer Spieler selbst.
Bei dem EM-Testspiel Irland gegen Ungarn vor rund einer Woche in Budapest hatten sich auch die Iren vor dem Anpfiff hingekniet, wurden jedoch mit Buhrufen einiger Heimfans konfrontiert. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán kommentierte den Vorfall mit den Worten: "Wenn du zu Gast bist in einem Land, dann provoziere nicht die Ortsansässigen." Die Geste der Iren sei eine "unhöfliche Provokation" gewesen. Der rechtskonservative Politiker erklärte weiter:
"Mit dieser Niederknierei sympathisiere ich in keiner Weise. Derlei gehört nicht auf die Sportplätze."
Der Ungar knie vor dem lieben Gott und vor seiner Heimat nieder und wenn er um die Hand seiner Liebsten anhalte. Der ungarische Fußballverband MLSZ kündigte an, sich nicht an der Geste zu beteiligen. In einer Mitteilung hieß es, dass die Nationalmannschaft "ihre Verurteilung jeglicher Form von Hass nicht durch Knien vor den Spielen zum Ausdruck bringen wird".
Am Sonntag ab 15 Uhr treffen sich England und Kroatien im Fußball-Tempel Wembley zum ersten Topspiel dieser Europameisterschaft. Für Gesprächsstoff dürfte wieder die Szene vor dem Anpfiff sorgen. Wie bereits vor ihren Testspielen gegen Österreich und Rumänien werden Englands Spieler für wenige Sekunden mit einem Knie auf den Boden gehen. Von einigen der 22.500 Zuschauer dürften wieder Buhrufe und Pfiffe kommen, wie bereits vor rund einer Woche. Denn bereits vor der EM waren die Three Lions im Konflikt mit eigenen Fans.
Seit Monaten knien Fußballer des englischen Nationalteams und der Premier League vor jedem Spiel hin und wollen so ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Doch mit der Rückkehr des Publikums in die Stadien kamen auch Pfiffe als Reaktion. Selbst in der Premier League befürworten nicht alle schwarzen Fußballer die Geste. Wilfried Zaha von Crystal Palace etwa bezeichnete den Kniefall laut einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa schon vor einigen Monaten in einem Podcast als "erniedrigend", als eine "bedeutungslose Scharade" und unterstellte Aktionismus.
Vor dem heutigen Spiel in London hieß es seitens des kroatischen Verbands, dass die kroatischen Spieler entschieden haben, als Mannschaft nicht diese Geste zu zeigen. Man wolle sich währenddessen respektvoll stehend präsentieren.
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