Knapp sieben Jahre nach dem Abschuss einer Passagiermaschine über dem Kriegsgebiet im Osten der Ukraine mit fast 300 Todesopfern geht der Strafprozess in eine entscheidende Phase. In Abwesenheit der vier Angeklagten leitete das Bezirksgericht Den Haag am Montag in einem besonders gesicherten Gebäude am Amsterdamer Flughafen das Hauptverfahren ein. Das Gericht werde das umfangreiche Dossier neutral und unvoreingenommen präsentieren, versicherte der Vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis.
Die Staatsanwaltschaft klagt drei Russen und einen Ukrainer wegen Mordes an 298 Menschen an. Sie sollen für den Abschuss der Maschine mit einer russischen Luftabwehrrakete verantwortlich sein. Die Boeing der Malaysia Airlines mit Flugnummer MH17 wurde am 17. Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über umkämpftem Gebiet in der Ostukraine abgeschossen.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hatten die vier Angeklagten Igor Girkin, Sergei Dubinksi, Oleg Pulatow und Leonid Chartschenko hohe Funktionen bei den Einheiten der prorussischen Rebellen. Alle sollen sich in Russland aufhalten, eine Auslieferung droht innen nicht. Pulatow wird vor Gericht in Abwesenheit von zwei Anwälten vertreten. Keiner der Angeklagten bekennt sich schuldig.
Der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko machte kurze Zeit nach dem Abschluss die Rebellen der Volksmiliz – von ihm "Terroristen" genannt – für den Abschluss verantwortlich. Russland beschuldigte er später der Lieferung schwerer Waffen an die Rebellen, darunter des BUK-Systems, mit dem das malaysische Boeing abgeschossen worden sein soll. Diese Version wurde seinerzeit vom Recherchenetzwerk Bellingcat auf Grundlage abgehörter Telefonate und Daten aus den sozialen Medien verbreitet.
Mehr zum Thema - Ist Bellingcats "MH17-Forensiker" Timmi Allen ein Hochstapler?
Kremlsprecher Dmitri Peskow kritisierte am Montag einmal mehr, dass Russland von den internationalen Untersuchungen zum Abschuss der Boeing ausgeschlossen worden sei. Trotzdem werde das Verfahren in den Niederlanden genau verfolgt. Russland nehme weiter auch andere mögliche Ursachen für den Absturz der Maschine in den Blick.
Der stellvertretende russische Generalstaatsanwalt Nikolai Winnitschenko sagte RIA Nowosti, dass die russische Seite den Niederlanden nicht nur russische Radardaten zur Verfügung gestellt habe, sondern auch Unterlagen, die belegten, dass die BUK-Rakete, die die Boeing traf, der Ukraine gehört hatte und von dem von Kiew kontrollierten Territorium abgeschossen worden sei. Diese Informationen hätten aber Ermittler ignoriert. Am ersten Prozesstag im März 2020 teilte die niederländische Staatsanwaltschaft mit, dass sie die Daten von der russischen Staatsanwaltschaft erhalten hatte und diese studiere.
Alle Raketen mit dem vom internationalen Ermittlerteam JIT bei einer Präsentation im Jahre 2018 demonstrierten Triebwerk seien nach 2011 verschrottet worden, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Das russische Außenministerium erklärte, dass die Vorwürfe der russischen Verwicklung in den Absturz der malaysischen Boeing unbegründet und bedauerlich seien. Außerdem hatte Russlands Präsident Wladimir Putin noch zuvor darauf hingewiesen, dass die Ukraine wegen der Kampfhandlungen im Kriegsgebiet den Luftraum hätte sperren müssen. Kurz zuvor war ein ukrainisches Militärflugzeug in großer Höhe abgeschossen worden.
Die ukrainischen Streitkräfte hatten in den ersten Monaten des Krieges von Mai bis Juli 2014 regelmäßig Stellungen der Rebellen aus der Luft beschossen. Es gab auch tödliche Flugangriffe auf Zivilisten. Nach der Tragödie mit der Passagiermaschine hat der Luftkrieg aufgehört. Niederländischen Medien zufolge hat Russland nach Aufforderung der Rebellen das BUK-System zum Zwecke der Luftverteidigung geliefert und nach dem versehentlichen Abschuss der Passagiermaschine wieder zurückgebracht. Russlands Schuld bestehe deshalb vor allem im Schweigen zu dem Vorfall. Außerdem werfen mehrere westliche Staaten Russland vor, durch seine Unterstützung der Rebellen im Donbass – auch mit Waffen – den Krieg angeheizt zu haben.
Mehr zum Thema - Russisches Verteidigungsministerium gibt neue Erkenntnisse zu MH17 bekannt: