Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten berieten am Donnerstag unter anderem über Corona-Impfungen für Kinder. Auf der Agenda: bis Ende August allen Kindern ab zwölf Jahren ein Impfangebot zu machen.
Doch es gibt noch ein Problem. Zuvor muss die EU-Arzneimittelbehörde EMA über eine entsprechende Zulassung für den bisher ab 16 Jahren zugelassenen Impfstoff von BioNTech und Pfizer entscheiden. Dies soll voraussichtlich an diesem Freitag geschehen.
Genug Impfstoff wäre schon da. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab im April bekannt, dass man sich mit dem Impfstoffhersteller BioNTech/Pfizer auf ein Volumen von 900 Millionen Dosen geeinigt habe. Weitere 900 Millionen seien optional gesichert. Denn man denkt weit in der EU. "Ich bin überzeugt, dass wir das langfristig angehen", sagte von der Leyen.
Nach einem internen Papier der Kommission plant die EU schon mit bis zu 510 Millionen Auffrischungsdosen in den Jahren 2022 und 2023. Darin wird die Anzahl der Impfungen für Kinder und Jugendliche zusätzlich auf 130 Millionen für 2022 und 65 Millionen für 2023 beziffert. Doch es ist Spiel nicht ohne Risiko. Bislang ist in der Staatengemeinschaft kein Impfstoff für Kinder und Jugendliche zugelassen.
Von der Leyen hatte stets betont, wie wichtig die Stimme der Wissenschaft bei der Impfvergabe sei. "Wir brauchen wissenschaftlichen Rat, wen wir impfen sollen, wie wir impfen sollen und in welcher Reihenfolge", sagte sie und fügte hinzu: "Es ist keine politische Entscheidung, es ist eindeutig [eine] evidenzbasierte, wissenschaftliche Entscheidung."
STIKO und Kassenärzte skeptisch
Doch gerade jetzt scheint diese wissenschaftliche Stimme nicht mehr so willkommen zu sein.
Auch für den Fall einer EMA-Zulassung behält sich die STIKO eigene Klärungen für eine mögliche Impfempfehlung vor. Ihr Mitglied Rüdiger von Kries erwartet derzeit nicht, dass es eine allgemeine Impfempfehlung für alle Kinder geben werde. Er hatte am Dienstagabend gesagt, momentan wisse man kaum etwas über die Nebenwirkungen von Corona-Impfungen bei Kindern. "Bei unklarem Risiko kann ich zurzeit noch nicht vorhersehen, dass es eine Impfempfehlung für eine generelle Impfung geben wird." STIKO-Mitglied Martin Terhardt sagte dem RBB-Sender radioeins, man erwarte noch Daten aus den USA. "Aber das wird sicherlich noch nicht bis nächste Woche vorliegen."
Der Chef des Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen begrüßte die Signale der Stiko. Auf die Frage, ob er eine solche Entscheidung für richtig halte, sagte er dem Handelsblatt: "Ja. Es wäre durchaus nachvollziehbar, wenn die STIKO keine Impfempfehlung aussprechen würde. Die Studienlage zum Infektionsrisiko von Kindern ist bislang sehr dünn."
Auch Ärztepräsident Klaus Reinhardt sieht noch Klärungsbedarf. "Die Datenlage zu Risiken und Nutzen einer möglichen Corona-Impfung bei Kindern und Jugendlichen ist derzeit noch so unzureichend, dass man keine Empfehlung abgeben kann", sagte der Chef der Bundesärztekammer. Natürlich wäre es hilfreich, möglichst vielen noch vor Beginn des nächsten Schuljahres ein Impfangebot machen zu können. "Aber wir haben uns immer für eine Impfstrategie ausgesprochen, die wissenschaftliche Sorgfalt vor Geschwindigkeit setzt."
Hat von der Leyen etwa zu schnell gehandelt? Tatsache ist, dass nach dem "Impfstoffmangel" und dem Ausfall von AstraZeneca im Frühjahr ihr Ruf mehr als angekratzt war. Dabei sollte die EU doch die "Apotheke der Welt" sein. In dieser Not mussten schnell neue Freunde her. Der Kontakt zu Alfred Bourla, der Chef von Pfizer, kam da gelegen. Es bahnte sich eine Traumhochzeit an. Bourla selbst sagte ganz emotional, er habe eine "Bindung" zu von der Leyen aufgebaut. "Sie wusste Details über die Varianten, sie wusste Details über alles. Das hat die Diskussion sehr viel engagierter gemacht."
Pfizer rettete von der Leyen
Einen Monat lang tauschte von der Leyen Textnachrichten und Anrufe mit Bourla aus. Und während sie miteinander sprachen, wurde klar: Pfizer könnte die Impfkampagne und von der Leyens politisches Ansehen aus dem Sumpf ziehen. Da schadete es nicht, dass der kaufmännische Leiter von BioNTech Sean Marett sich um die behördliche Genehmigung für eine neu erworbene Anlage in Deutschland bemühte, die bereits Impfstoffe produzierte und diese in Erwartung einer Genehmigung auf Lager hielt.
Andere Konkurrenten, die ebenfalls bereitstanden, hatten es bei der EU jedenfalls schwer. Zu den Kriterien der Kommission für den Großauftrag gehörte es nämlich, dass es sich um Impfstoffe auf Grundlage der mRNA-Technologie handelt, wie es hieß. Denn mit den Präparaten von BioNTech/Pfizer und Moderna sind bislang nur zwei Impfstoffe dieser Art in der EU zugelassen.
Aufgrund der neuen nRNA-Technologie gehören sie aber auch zu den teuersten Impfstoffen auf dem Markt.
Wie viel die EU überwiesen hat, lässt sich nur spekulieren. Bereits im November 2020 hat die EU einen ersten Vertrag mit BioNTech/Pfizer erzielt. Die endgültige Summe ist bis heute geheim gehalten. Nach Medienberichten liegt der Preis für eine Dosis bei ca. 16 Euro, die Kühlung bei -70 Grad Celsius nicht eingerechnet. Bei mindestens 900 Millionen Dosen bedeutet das eine stattliche Summe.
Ob von der Leyen die Verzögerung der Impfung für Kinder zum Verhängnis wird? Eher unwahrscheinlich. Schon beim Abschluss des Vertrages sagte sie, die Größe des Vertrages biete eine Menge Optionen. "Das schließt die Möglichkeit für die Mitgliedsstaaten ein, Dosen zu einem niedrigeren Preis zu spenden oder weiterzuverkaufen", um Nationen in der unmittelbaren Nachbarschaft oder darüber hinaus zu helfen, sagte sie. Klassische Impfdiplomatie also, die bei anderen Impfnationen wie Russland und China gerne getadelt wird.
Für Bourla bestimmt kein Grund zur Sorge. Er und von der Leyen, so der Pfizer-Chef, hätten "ein tiefes Vertrauen entwickelt".
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