Wer ist der in Minsk verhaftete Roman Protassewitsch – Journalist, Kämpfer oder Staatsfeind?

Viele nennen Roman Protassewitsch einen Journalisten, die anderen Blogger und für manche ist er ein Aktivist. Jedenfalls drohen ihm nun in Weißrussland bis zu 15 Jahre Haft. In seiner "Laufbahn" verbindet der 26-Jährige alle typischen Merkmale eines prowestlichen Nationalisten.

Die Nachricht über die Festnahme des weißrussischen Politaktivisten Roman Protassewitsch während einer Zwischenlandung in Minsk ging am Sonntag um die Welt. Eine CNN-Sendung wurde sogar eigens unterbrochen und die Ex-Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja zugeschaltet. Erst vor gut einer Woche hatte sie sich mit ihm in Athen getroffen. Am Montag diskutierte sofort auch der EU-Gipfel die geeigneten Strafmaßnahmen gegen Weißrussland. Landungsverbote für weißrussische Fluggesellschaft Belavia sind nur eine der möglichen Optionen. Weißrussland wird Entführung des zivilen Flugzeuges und brutale Unterdrückung der Opposition und der Meinungsfreiheit vorgeworfen. Um den Fall herum eskaliert derzeit eine diplomatische Krise. Der Druck auf das osteuropäische Land steigt. Die "Causa Protassewitsch" droht sich zu einem weißrussischen "Fall Nawalny" zu entwickeln.

Aber wer ist Roman Protassewitsch, und vor allem welche Konsequenzen hat die Verhaftung für ihn? Gegen den 26-Jährigen und einen weiteren Aktivisten, Stepan Putilo, wurde ein Strafverfahren nach drei Artikeln des Strafgesetzbuches eingeleitet – nach Teil 3 des Artikels 130 wegen "Aufstachelung zu rassischem, nationalem, religiösem oder sonstigem sozialen Hass oder Zwietracht" (strafbar mit bis zu 12 Jahren Gefängnis), nach Artikel 293 wegen "Massenunruhen" (bis zu 3 Jahre Gefängnis) und nach Artikel 342 wegen "Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen" (bis zu 2 Jahre Freiheitsstrafe). In einem am Sonntag veröffentlichten Video teilte Protassewitsch mit, dass es ihm in der Haft gut gehe und dass er im Verfahren wegen Massenunruhen ein Geständnis ablegt. 

NEXTA: Sprachrohr und Koordinierungshub

Während der Hochphase der Protestwelle in Weißrussland im letzten Jahr wegen der angeblich gefälschten Wahlen war Protassewitsch als Hauptredakteur des Telegramm-Kanals NEXTA-Live zu einer der Schlüsselfiguren der radikalen Opposition aufgestiegen. Der Kanal wurde wenige Jahre zuvor vom Reporter des polnischen TV-Senders Belsat Stepan Putilo gegründet und zählte zeitweise bis zu zwei Millionen Abonnenten. NEXTA fungierte als Nachrichtenquelle, digitales Kampfblatt und zentraler Hub für Protestkoordination. Dabei fielen NEXTA, NEXTA Live und weitere ähnliche Kanäle vor allem durch abschätzige Hass-Rhetorik gegenüber dem Präsidenten Lukaschenko, weiteren Staatsbeamten und Sicherheitskräften auf. Es wurden persönliche Daten von Polizisten verbreitet und es wurde dazu aufgerufen, maximalen Druck auf sie und ihre Familien auszuüben. Der Kanal forderte außerdem, etwa durch Sanktionen, Sabotageaktionen und Streiks der weißrussischen Wirtschaft maximalen Schaden zuzufügen.

Das hatte Folgen. Das Oberste Gericht in Minsk hatte somit am 20. Oktober 2020 den Telegram-Kanal NEXTA als extremistisch eingestuft. Im Februar 2021 beantragte Weißrussland bei Polen die Auslieferung der beiden Journalisten. Polnische Behörden nahmen erwartungsgemäß davon keinerlei Notiz, denn ausgerechnet sie unterstützen ja diese und viele weitere Aktivisten mit Zuwendungen, Polizeischutz und diplomatischer Rückendeckung. Protassewitsch selbst bezeichnete sich in einem Interview als einen "aktivistisch" agierenden Journalisten.

Asow-Mitglied?

Für sein jugendliches Alter kann er in der Tat bereits eine bemerkenswerte Karriere eines Oppositionellen vorweisen. Noch als Schüler koordinierte er in den Jahren 2011 und 2012 Protestgruppen in sozialen Medien, wie etwa "Wir haben Lukaschenko satt".  Dabei bewegte er sich über die Jahre im Dunstkreis der radikalen Nationalisten. So wurde er noch im Jahr 2011 Mitglied der nationalistischen Organisation "Junge Front" und stieg dort zu einem der Hauptfunktionäre auf.

Ende 2013 fuhr Protassewitsch als 17-Jähriger nach Kiew und nahm an den Maidan-Protesten teil. So konnte er an der berühmten Zerstörung des Lenin-Denkmals in Kiew am 8. Dezember 2013 teilnehmen, was ihm laut einem durch ihn selbst verbreiteten Foto offenbar viel Freude bereitete. Seine Ansichten bezeichnet er als antikommunistisch, prowestlich und russlandkritisch.  

Mit dem gewaltsamen Machtwechsel in Kiew und dem Beginn des Bürgerkrieges in der Ostukraine im April 2014 ging der junge Weißrusse an die "Front". Er selbst bezeichnete sich in einem Interview als einen Freelancer, der Videoaufnahmen machte und von der Front berichtete. Er gab zu, dort verletzt worden zu sein. Anderen Angaben zufolge bekam Protassewitsch bei der rechtsradikalen Miliz "Regiment Asow" eine kurze Kampfausbildung und arbeitete im Pressedienst der Miliz.

Am Dienstag postete der ukrainische Journalist und Politiker Anatolij Scharij in seinem Blog das Titelbild eines Magazins der rechtsradikalen Szene auf dem Jahr 2015 mit einem Asow-Kämpfer, der Protassewitsch sehr ähnlich ist. 

Laut dem Portal FOIA Research.net war Protassewitsch Sympathisant einer rechtsradikalen weißrussischen Einheit Pahonia Detachment, die Kämpfer an die Front in der Ostukraine entsandte und nahm an Protestaktionen der Gruppierung "Black Block" Anfang 2017 in Weißrussland teil.

US-Medien und Aktivisten-Netzwerke

Im Jahr 2017 bekam Protassewitsch ein Journalisten-Stipendium einer tschechischen Nichtregierungsorganisation. Im selben Jahr war er auch für den US-Staatsender Radio Liberty tätig. Im April 2018 unternahm Protassewitsch eine Reise nach Washington, D.C. und besuchte das US-Außenministerium, wovon er berichtete, dass er während dieser Reise viele wichtige Treffen gehabt hätte. Seitdem wechselte er zum USAID-finanzierten Euroradio, wo er bis Ende 2019 arbeitete. Im Dezember 2019 emigrierte er schließlich nach Polen, wo er politisches Asyl beantragte. In Polen war der Aktivist seit Februar 2020 beim Projekt NEXTA bis zur Trennung von seinem Gründer Stepan Putilo Ende September tätig. Danach zog Protassewitsch nach Litauen, wo er mit dem Stab der Ex-Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja kooperierte. Kurz vor seiner Verhaftung berichtete der Aktivist, dass er bald ein neues "cooles" Projekt starten werde.

Über sich schreibt Protassewitsch in seinem Twitter-Kanal, er sei "der erste Journalisten-Terrorist der Geschichte". Damit spielt er auf den Terrorismus-Vorwurf vonseiten desweißrussischen Staates gegenüber seiner Person an. Seine Anhänger nennen ihn gerne auch einen "Cyber-Journalisten".

Als was auch immer Roman Protassewitsch sich selbst bezeichnen mag, es wäre auf jeden Fall nicht falsch zu behaupten, dass er aktiver Gegner des weißrussischen Staates in seiner derzeitigen Form ist. Der US-Präsident Joe Biden hatte keine Skrupel, jene Menschen, die seinen Wahlsieg nicht akzeptierten und am 6. Januar das Kapitol in Washington, D.C. stürmten, als "innere Terroristen" zu bezeichnen. Derzeit laufen mehr als 280 Strafverfahren gegen die Teilnehmer jenes Sturmes auf das Kapitol, Dutzenden von ihnen drohen langjährige Strafen, zwei Teilnehmer nahmen sich bereits das Leben.

Doch Weißrussland ist nicht wie die USA. Es ist bekannt, wie groß die finanzielle, organisatorische, logistische und diplomatische Unterstützung der weißrussischen Opposition und "unabhängiger Medien" durch die USA und weitere westliche Staaten ist, die dort eine ganz Kaste bezahlter Aktivisten hochzüchteten. In Weißrussland betreiben sie ganz offen die Agenda eines Regime-Change. Mit einem System der "Talenteförderung" steigen insbesondere junge Menschen mit Elan und Energie, natürlich in der gewünschten Richtung, schnell im verzweigten NGO-Netzwerk auf. Roman Protassewitsch ist ein typischer Fall dafür. Wenn ihn die weißrussischen Sicherheitsbehörden bei der Zwischenlandung in Minsk nicht festgenommen hätten, wäre er aber wohl kaum schlagartig so weltberühmt geworden wie jetzt.

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