In den 35 Jahren seit der Nuklearkatastrophe im nahe gelegenen Tschernobyl ist die Hauptverkehrsstraße in Prypjat, Ukraine, von Pflanzen, Bäumen und Wildtieren übernommen worden.
Seit der Kernschmelze des sowjetischen Atomreaktors im Jahr 1986 liegt die Stadt verlassen da, die einst die Arbeiter des Atomkraftwerks und ihre Familien beherbergte.
Doch nun wurde ihr zentraler Boulevard von Pflanzen und Bäumen befreit und sogar wieder an das Stromnetz angeschlossen. Im Jahr 2020 kamen ehemalige Bewohner, um den fünfzigsten Jahrestag der Gründung in der damaligen Sowjetunion zu feiern.
Von der Todeszone zum Weltkulturerbe?
Während bisher nur wenige Abenteuerlustige ihren Weg nach Tschernobyl gemacht haben, glauben die ukrainischen Behörden, dass sich viele Touristen in die Stadt wagen könnten.
Der Massentourismus würde nicht nur dazu beitragen, die Ereignisse von Tschernobyl lebendig zu halten, so die Hoffnung der ukrainischen Behörden, sondern auch Geld für die weiteren Restaurierungsarbeiten einbringen.
Neben der Restaurierung in Prypjat plant die Regierung ein neues Museum, in dem Rettungsgeräte ausgestellt werden, die bei den Aufräumarbeiten vor mehr als drei Jahrzehnten eingesetzt wurden.
Nach der Explosion, der schlimmsten Atomkatastrophe der Welt, wurden 350.000 Menschen aus der Region um Tschernobyl umgesiedelt. Eine neue Stadt, Slawutytsch, wurde gegründet, um Kraftwerksarbeiter und Wissenschaftler rund 30 Kilometer vom Reaktorstandort entfernt unterzubringen.
Doch die Sperrzone von Tschernobyl bleibt ein riesiges, leeres Denkmal für die massiven menschlichen Fehler, die von den Behörden vor 35 Jahren gemacht wurden, als Reaktor Nummer 4 explodierte, Feuer fing und dann radioaktives Material in die Atmosphäre spuckte.
Die sowjetischen Behörden versuchten, die Katastrophe geheim zu halten, und die Welt erfuhr erst, dass etwas passiert war, als Strahlungswerte bis in den Norden Schwedens festgestellt wurden. In Kiew erfuhren die Bewohner zunächst nichts von der Kernschmelze nur 65 Kilometer südlich.
Der Reaktor war zunächst in einem massiven Sarkophag untergebracht, aus dem noch im Jahr 2019 Strahlung austrat. In diesem Jahr wurde er schließlich in einem bogenförmigen Schutzraum eingeschlossen, in dem Roboter den mühsamen Prozess der Demontage dessen, was vom Reaktor übrig geblieben war, fortsetzten.
Erst jetzt trauen sich Beamte in der Ukraine vorzuschlagen, dass die Sperrzone, Prypjat und sogar der begrabene Reaktor irgendwann ein Touristenziel sein könnten – ein Denkmal nicht nur für die Fehler der Menschheit, sondern auch für ihre Fähigkeit, sich aufzurappeln und weiterzumachen.
"Unser Tourismus ist einzigartig, es ist kein klassisches Konzept von Tourismus", sagte Bohdan Boruchowski, der stellvertretende Umweltminister der Ukraine. "Dies ist ein Gebiet der Meditation und Reflexion, ein Gebiet, in dem man die Auswirkungen menschlichen Versagens sehen kann, aber auch den menschlichen Heroismus, der es korrigiert."
Durch die Ausstrahlung der gleichnamigen HBO-Serie verdoppelten sich die Touristenzahlen im Jahr 2019, sagen die Behörden, bevor die COVID-19-Pandemie sie bis Mitte 2020 vollständig zum Stillstand brachte. Wenn die globale Pandemie zurückgeht, hoffen die Behörden, dass sie das touristische Potenzial von Tschernobyl nutzen können.
Die Behörden planen neben der Rodung der Vegetation und der Elektrifizierung auch den Bau von Wegen durch die Ruinen, damit Touristen Sehenswürdigkeiten wie das verlassene Schwimmbad und den Vergnügungspark der Stadt besichtigen können.
Was die Anlage selbst betrifft, so sind alle vier Reaktoren im Abbau begriffen, der aber frühestens 2064 abgeschlossen sein wird. Teile des Geländes könnten für Jahrhunderte radioaktiv sein, aber die Werte sind niedrig genug, damit Touristen sie besuchen und Wissenschaftler ihre Arbeit machen können.
Kein Spielplatz für Abenteurer
Die Ukraine verbietet langfristige Besiedlung innerhalb der Zone, obwohl etwa 100 Menschen – hauptsächlich ältere ehemalige Bewohner – sich der Anordnung widersetzen und weiterhin dort leben.
Die Abwesenheit von Menschen hat zu einem Aufblühen der Tierwelt geführt, mit Bären, Wisenten, Wölfen, Luchsen, Wildpferden und Dutzenden von Vogelarten, die dort leben. Das hat Wissenschaftler angezogen, die die Möglichkeit begrüßen, zu studieren, wie die Tiere in Abwesenheit des Menschen reagieren.
"Dies ist ein gigantisches Territorium, (...) in dem wir eine Chronik der Natur führen", sagt der Biologe Denis Wischnewski (43), der die Natur im Reservat seit 20 Jahren beobachtet. "Die Sperrzone ist kein Fluch, sondern unsere Ressource."
Nun strebt die Ukraine an, die Sperrzone in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufnehmen zu lassen. "Tschernobyl sollte nicht zu einem wilden Spielplatz für Abenteurer werden", sagte der ukrainische Kulturminister Oleksandr Tkatschenko gegenüber AP.
"Die Menschen sollten die Sperrzone mit dem Bewusstsein für die historische Erinnerung an diesen Ort und seine Bedeutung für die gesamte Menschheit verlassen."
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(rt de/ap)