Mit kurzen Unterbrechungen war Bojko Borissow seit 2009 Ministerpräsident von Bulgarien. Nun verzichtet der 61-Jährige auf eine weitere, vierte Amtszeit. Nach mehr als einem Jahrzehnt zieht er sich zurück und will einen anderen Kandidaten für den Posten der Regierungschefs vorschlagen. Namen nannte Borissow am Mittwoch in Sofia nicht. Er sagte nur, dass es ein anderer Kandidat mit einer "sehr klaren europäischen NATO-Orientierung" sein werde.
Bei der Parlamentswahl Anfang April war seine pro-europäische GERB mit 26 Prozent der Stimmen in dem EU- und NATO-Mitgliedsland wieder stärkste Partei geworden. Mit 75 Sitzen verfehlte sie in dem 240-Abgeordneten-Parlament die Mehrheit aber klar. Die GERB gehört ebenso wie die CDU/CSU zur EVP-Fraktion im Europaparlament. Vergangenes Jahr hatten Demonstranten in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen immer wieder den Rücktritt des Ministerpräsidenten verlangt.
Als stärkste politische Kraft muss die GERB der bulgarischen Verfassung zufolge mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt werden. In dem zersplitterten Parlament mit insgesamt sechs Parteien dürfte sie aber keine neue Koalition mehr zustande bringen können. Die fünf anderen Parteien lehnen ein Regierungsbündnis mit der Borissow-Partei ab.
Bei einem Scheitern der GERB müsste Staatschef Rumen Radew den Auftrag zur Regierungsbildung dann an die zweitstärkste Kraft weitergeben, die systemkritische "Es gibt so ein Volk" ITN (17,6 Prozent, 51 Sitze). Deren Vorsitzender Slawi Trifonow, ein TV-Moderator und Kabarettist, hat sich noch nicht klar zu seinen Plänen geäußert. Trifonow steht derzeit unter Quarantäne, weil er positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Das neu gewählte Parlament kommt an diesem Donnerstag zu seiner ersten Sitzung zusammen.
Der 61 Jahre alte Borissow regierte über ein Jahrzehnt das ärmste EU-Land. Anhänger der Sozialisten und der Protestparteien forderten im vergangenen Sommer seinen Rücktritt wegen "korrupter Amtsführung und Verbindungen zu Oligarchen". Sein bisheriger Koalitionspartner, die nationalistische WMRO, scheitert wohl an der Vier-Prozent-Hürde.
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(rt/dpa)