Aus Brüssel sind in den vergangenen Jahren hunderte Millionen Euro an externe Beratungsfirmen geflossen, deren Namen hierzulande bereits im Zusammenhang mit diversen Berateraffären an Seriosität eingebüßt haben. Allein für die vier großen Unternehmen PwC, KPMG, Deloitte und EY, die sogenannten "Big Four", hatte die Kommission laut dem Finanztransparenzsystem der Europäischen Union (EU) zwischen 2016 und 2019 mehr als 462 Millionen Euro ausgegeben.
Ein Großteil der in diesem Zeitraum stark angestiegenen Ausgaben entfiel auf das Programm zur Unterstützung von Strukturreformen in Mitgliedsstaaten. Während solche technische Unterstützung zunächst vorrangig von internen Fachleuten, internationalen oder Nichtregierungs-Organisationen geleistet wurde, entfielen immer mehr derartige Aufträge an private Beraterfirmen.
Zu Beginn des Programms im Jahr 2017 erhielt zunächst nur EY (Ernst & Young) zwei Programmaufträge im Wert von 221.820 Euro, was weniger als zwei Prozent der Gesamtsumme in Höhe von 22,5 Millionen für das Programm entsprach. Einen Großteil erhielten in dem Jahr noch internationale Organisationen. Doch die Summen, welche Beraterfirmen für diesen Bereich erhielten, wuchsen dann bald exponentiell, wie Euractiv berichtet.
Demnach flossen im Folgejahr 2018 bereits 11,04 Millionen Euro an die Firmen ohne Mandat, von den damals insgesamt 30,5 Millionen Euro. Im Jahr 2019, dem letzten Jahr mit verfügbaren Zahlenwerten, war es dann gleich mehr als das Doppelte, nämlich 24,38 Millionen Euro für 91 Leistungen, was knapp ein Drittel der insgesamt für das Programm verfügbaren 79,4 Millionen Euro ausmachte.
Die meisten Mittel erhielt in diesem Jahr 2019 PwC mit 10,31 Millionen für eine Beteiligung an insgesamt 33 Reformvorschlägen in den Mitgliedsstaaten, gefolgt von EY (6,7 Millionen für 30 Reformen), Deloitte ( fast 4 Millionen für gerade mal 13 Reformen) und KPMG (3,4 Millionen für 15 Reformen).
73 Abgeordnete Europaabgeordnete verschiedener Fraktionen hatten in einem Brief ihre Bedenken gegenüber der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem lettischen damals geschäftsführenden Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis zum Ausdruck gebracht, nachdem Medienberichte über die Ausgaben für externe Beratungsfirmen erschienen waren. "Die Kommission muss energische Maßnahmen ergreifen, um das Risiko eines unangemessenen Einflusses privater Beratungsfirmen auf ihre Entscheidungen und auf die Gestaltung von Strukturreformen in wichtigen Bereichen der öffentlichen Politik zu vermeiden", hieß es in dem Schreiben.
Verfasst vom Ko-Vorsitzenden der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, Philippe Lamberts, und unterzeichnet von Mitgliedern anderer Fraktionen, darunter der konservativen EVP, der sozialdemokratischen S&D, der liberalen Renew Europe und der linken GUE/NGL, forderten die Abgeordneten die EU-Exekutive zur Beantwortung auf, "ob der zunehmende Rückgriff auf externe private Beratung sowohl relevant als auch wirtschaftlich sinnvoll ist, verglichen mit der Option, eigenes internes Personal für derartige Aufgaben einzustellen."
Die Kommission solle außerdem den Gesamtbetrag angeben, welcher für Studien ausgegeben wurde, die zwischen 2016 und 2020 von externen Firmen erstellt wurden, einschließlich aller Folgenabschätzungen, Politikempfehlungen sowie Zwischenberichten und Ähnlichem.
Die Kommission müsse zudem auch andere Fragen beantworten. Darunter solche, die bei der Beauftragung derartiger Privatfirmen durch öffentliche Behörden – zumal derartig gut besetzte und ausgestattete – auf der Hand liegen: zum einen, warum nicht wie zuvor das interne Fachwissen genutzt wurde.
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Die Mitwirkung solcher Unternehmen an der Politikgestaltung ist nicht nur aufgrund der hohen Aufwendungen aus öffentlichen Kassen enorm umstritten. Das zeigt auch die Erfahrung, welche Ursula von der Leyen als Bundesverteidigungsministern zutage brachte, indem beispielsweise Personen ohne jegliche relevante Kenntnisse, dafür aber mit persönlichen Verbindungen zur Bundesministerin und zu der von ihr eingesetzten Staatssekretärin, teure Aufgaben als IT-Experten erteilt und honoriert bekamen – damals ein Vorgang, der so voller klarer Belege nachvollzogen werden konnte und gemeinhin als Vetternwirtschaft bekannt wurde, seitens von der Leyens aber auch trotz der unverhältnismäßigen Summen als normal eingestuft wurde.
Darüber hinaus ergeben sich durch den Einblick in internes Know-how mitunter Interessenkonflikte und im Bereich sicherheitsrelevanter Informationen sogar handfeste Gefahren, da Geheimhaltung nicht mehr gewährt ist, wenn diese Firmen Daten kennen, welche für andere Kunden von Interesse sein könnten und somit laut dem Sicherheitsexperten der Linken im Bundestag, Alexander Neu, der Spionage Tür und Tor öffnet.
Nachdem die EU-Kommission ausgerechnet die Investment-Management-Firma BlackRock beauftragt hatte, eine Studie zur Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Zielen (ESG) für die EU-Bankenregeln durchzuführen, hatte sich bereits empörter Widerstand geregt.
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Vor dem Hintergrund der aktuellen Frage zu schwer nachvollziehbaren Ausgaben fordern die EU-Abgeordneten auch eine Antwort darauf, inwieweit die damals vom EU-Ombudsmann erteilte Empfehlung eines strengen Überprüfungsprozesses zur Vermeidung von Interessenkonflikten bisher Eingang in die Praxis gefunden habe.
Auch der Europäische Rechnungshof prüft diese Aufwendungen für externe Berater, nach Angaben einer Sprecherin gegenüber Euractiv mit dem Ziel "zu beurteilen, ob die Kommission bei der Beauftragung von Beratern […] ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis erzielt und gleichzeitig ihre eigenen Interessen schützt". Der Bericht soll allerdings voraussichtlich erst Anfang kommenden Jahres erscheinen.
Laut der Vorsitzenden des Haushaltskontrollausschusses des EU-Parlaments, Monika Hohlmeier, solle neben einer Überprüfung der bisherigen Ausgaben zudem ein "anderer Ansatz" vorgeschlagen werden, um den Einfluss der Konzerne bei Strukturreformen zu begrenzen. Im Rahmen des Haushaltsentlastungsprozesses für das Jahr 2020 werden entsprechende Auskünfte von der Kommission gefordert und werde dabei eine Zeitspanne "mehrerer Jahre oder auch ein Jahrzehnt" in den Fokus genommen. Vor allem das Strukturreformprogramm werde dabei überprüft. Laut Hohlmeier sei es fraglich, ob einzelne Aufträge für externe Anbieter die technische Unterstützung leisten können. "Deshalb wollen wir mit dem Europäischen Rechnungshof zusammenarbeiten, um eine andere Arbeitsmethode für dieses Instrument zu finden", so Hohlmeier.
"Wir wollen, dass das Geld vernünftig ausgegeben wird. Expertise darf Effizienz nicht ersetzen", betonte die Abgeordnete. Sie und andere Mitglieder des Ausschusses seien auch über den Inhalt der Analysen und Empfehlungen der Beratungsfirmen "besorgt". Deshalb werde ihr Ausschuss prüfen, "wie die Kommission diese Expertise einholt, ob sie wirklich neutral und faktenbasiert ist und ob unterschiedliche Teile der Gesellschaft einbezogen werden". Ein Sprecher der Kommission erklärte hingegen, dass solche Beratungsfirmen "die beste Expertise weltweit dorthin bringen, wo sie am meisten gebraucht" werde.
Wie Euractiv schreibt, gestalten die Firmen so öffentliche Politik in sensiblen Bereichen mit, wie beispielsweise im Justizsystem, am Arbeitsmarkt, für die Polizei, das Gesundheitswesen oder die Sozialdienste.
Hinsichtlich der vermeintlichen Expertise von privatwirtschaftlichen Unternehmen, durch welche sich die EU-Kommission beraten lässt, kann man – neben dem Einsatz von Personal völlig ohne einschlägige Fachkenntnisse – womöglich sehr konkret am Zustand der deutschen Bundeswehr ablesen, inwieweit nicht nur Effizienz-Bedenken gerechtfertigt sind.
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