Zerbricht die EU an der Frage der Impfstoffverteilung?

Die EU hat im Zuge der Impfstoffbestellung und der ungerechten Verteilung auch intern an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gleich von fünf EU-Länderchefs Beschwerden erhalten. Österreich und vier andere EU-Staaten fordern ein Spitzengespräch.

Fünf EU-Länder dringen auf hochrangige EU-Gespräche für eine gerechtere Verteilung von Corona-Impfdosen. Die Niederlande und Dänemark erhielten deutlich mehr als etwa Bulgarien oder Kroatien, klagen die Regierungen. Die Befürchtung geht um, dass das derzeitige Bestellsystem bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen werde, schrieben die Regierungschefs von Österreich, Bulgarien, Lettland, Slowenien und Tschechien.

Nach einer Studie von Redfield & Wilton Strategies liegt das Zusammenhaltsgefühl bei der Pandemiebekämpfung in der EU demnach in Deutschland nur bei 18, in Italien bei 14 und in Frankreich bei 21 Prozent. Oft liegt es wie in Frankreich gerade am Zweifel an der richtigen Strategie der eigenen Regierung. Hier waren laut Studie 49 Prozent dagegen und nur 25 Prozent dafür. In Deutschland verhält es sich nahezu spiegelverkehrt: Hier unterstützen 48 Prozent den Regierungskurs. Nur 33 Prozent sind dagegen. 

Besonders deutlich ist das Auseinanderdriften der EU bei der einheitlichen Bekämpfung der Pandemie zu sehen. Auf die Frage, ob die EU gemeinschaftlich reagierte, als es zur Krise kam, antworteten fast alle mehrheitlich mit "Nein", in Frankreich 58 Prozent, in Italien 69 Prozent, in Deutschland 62 Prozent und in Großbritannien 48 Prozent.

Lange war unklar, wer das Impfstoffrennen gewinnt. So wurde zunächst alles Mögliche eingekauft. Im November wurden bis zu 300 Millionen Dosen des BioNTech-Impfstoffs bestellt, die nach Bevölkerungszahl auf die 27 EU-Staaten verteilt werden sollten. Daneben gibt es Rahmenverträge mit fünf weiteren Herstellern. Insgesamt hat die EU für knapp zwei Milliarden Impfdosen Bezugsrechte. Das Problem: Nur wenige haben auch eine Zulassung. Das liegt wiederum an der sehr langsam arbeitenden EMA, der Europäischen Arzneimittel-Agentur. Bei dieser Behörde liegt die Dauer einer Zulassung nach eigenen Angaben bei rund 210 Tagen. Die Vielfalt auf dem Papier nützt also zunächst nichts.

Dann der Verteilerstreit: Hauptstreitpunkt der jüngsten Auseinandersetzung war die gerechte Verteilung der Vakzine. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beklagt, dass die Impfdosen unter den EU-Staaten nicht anteilig aufgeteilt werden, sondern dass zusätzliche Lieferverträge durch nicht transparente Verhandlungen in einer EU-Steuerungsgruppe zustande kämen.

Die EU-Kommission räumte ein, dass es zu Verschiebungen kommen kann, wenn nicht alle Länder gemäß ihrem Anteil bestellen. Nicht genutzte Kontingente könnten dann unter den anderen Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden. Laut Kurz haben etwa die Niederlande und Dänemark Zugang zu wesentlich mehr Impfstoffdosen bekommen als Länder wie Bulgarien oder Kroatien.

Die fünf Regierungschefs kritisierten, dass die derzeitige Praxis der EU-Vereinbarung über eine anteilige Verteilung widerspreche. An den EU-Ratspräsidenten Charles Michel und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieben die fünf Regierungschefs:

"Wir fordern Dich daher auf, Charles, so bald wie möglich eine Diskussion unter den Staats-und Regierungschefs abzuhalten."

Mit einer einseitigen Stellungnahme erklärte de EU-Kommission die Regelungen für fair. Der Inhalt der Botschaft lässt wieder alle Türen offen: Wenn sich ein Mitgliedsstaat entscheidet, sich von dem verabredeten Zuweisungssystem zu verabschieden, sollten die Dosen unter den anderen interessierten Staaten aufgeteilt werden. Es liege nun bei den Mitgliedsstaaten, eine Übereinkunft zu finden, wenn diese wünschten, zu einer einfachen Verteilungsbasis zurückzukehren. Ein EU-Sprecher betonte mit Blick auf das Schreiben, die "Koordination des Kampfes gegen die Pandemie" stehe bereits ganz oben auf der Agenda des EU-Gipfeltreffens Ende dieses Monats. 

Auch EU-Kommissionsvize Frans Timmermans räumt Fehler in Brüssel bei der Impfstoffbestellung ein. Er sagte:

"Es stimmt, dass bei der Bestellung der Impfstoffe sowohl in Brüssel als auch in den Mitgliedsstaaten Fehler gemacht wurden. Aber ich stehe dazu: Ein europäisches Vorgehen bei der Impfstoff-Bestellung war auch im Interesse der reicheren Staaten."

Er sei bereit, am Ende der Pandemie Bilanz zu ziehen. In der jetzigen Situation ginge es aber darum, dass ganz Europa Impfstoff bekommt. Das sei die Voraussetzung dafür, dass wir wieder unser normales Leben zurückbekommen. Soll Großbritannien, dass mehr als neun AstraZeneca-Dosen von der EU bezog, die eigenen Impfstoff-Exporte Richtung EU und in andere Regionen offenlegen? Timmermanns erinnerte daran, dass die EU Impfstoffe exportierte und zwar mehr als andere Kontinente. Timmermanns: "Aber ich halte nichts davon, von anderen Staaten die Offenlegung ihrer Exporte zu verlangen." Er erinnerte mehr an den Zusammenhalt in der EU. Damit meine er nicht nur die Europäische Union und die einzelnen Nationalstaaten, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. 

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