Das EU-Parlament hat die Aufhebung der Immunität der katalanischen Abgeordneten Carles Puigdemont, Toni Comín und Clara Ponsatí beschlossen. 400 Parlamentarier stimmten für diesen Schritt (57,7 Prozent der Stimmen), 248 dagegen, 45 enthielten sich. Damit gab das Parlament einem Antrag der spanischen Behörden statt und machte den Weg für die Fortsetzung der Strafverfahren gegen die Politiker frei, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien einsetzen.
Nach dem von Spanien verbotenen katalanischen Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 waren mehrere ranghohe katalanische Politiker – darunter der Präsident der katalonischen Autonomieregierung Puigdemont – ins Ausland geflohen, um der spanischen Strafverfolgung zu entgehen. Puigdemont und sein ehemaliger Gesundheitsminister Comín suchten Zuflucht in Belgien. Kataloniens Ex-Kulturministerin Ponsatí floh nach Schottland. 2019 wurden die drei trotz laufender spanischer Justizverfahren ins EU-Parlament gewählt.
In ihrer Berichterstattung rechtfertigt die Deutsche Welle die Entscheidung des EU-Parlaments: "Das Europaparlament konnte kaum anders als die Immunität von Carles Puigdemont und zwei weiterer katalanischer Abgeordneter aufzuheben. Es ist keine politische Entscheidung, sondern eine formaljuristische." Es gehe darum, dass "die Abgeordneten nicht durch Strafverfolgung in ihrer parlamentarischen Arbeit behindert werden sollten" – es sei aber unmöglich, den Abgeordneten eine Immunität rückwirkend zu verleihen, da die spanischen Anklagepunkte von 2017 stammten.
Puigdemont erklärte nach der Entscheidung:
"Dies ist ein trauriger Tag für das Europäische Parlament. Wir haben unsere Immunität verloren, aber für das Parlament und damit auch die Europäische Demokratie ist es ein weit größerer Verlust."
Er sieht einen klaren Fall von politischer Verfolgung. Es handele sich nicht um eine innere Angelegenheit, wie die spanische Außenministerin den Sachverhalt bezeichnete. Puigdemont und seine Kollegen wollten nun den europäischen Gerichtshof anrufen. Spaniens Außenministerin González Laya erklärte hingegen: "Die Probleme Kataloniens werden in Spanien gelöst, nicht in Europa."
Über Twitter reagierten einige der EU-Parlamentarier und drückten ihr Unverständnis für die Immunitätsaufhebung aus – so zum Beispiel der dänische Abgeordnete Nikolaj Villumsen von der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament (GUE/NGL). Er spricht von einer "beschämenden" Entscheidung:
"Das ist eine Schande! Demokratie und Redefreiheit werden angegriffen. Immerhin ist es positiv, dass 248 Abgeordnete dem Druck widerstanden und die Demokratie verteidigt haben."
Die französische Abgeordnete Anne-Sophie Pelletier von der Europäischen Linkspartei kritisiert deutlich:
"Ein Votum der Schande! Das EU-Parlament votierte dafür, die Immunität unserer katalanischen Kollegen aufzuheben. Dies ist ein schwarzer Tag für die europäische Demokratie."
Die tschechische Abgeordnete Kateřina Konečná betonte, dass man nicht aufhören werde, das katalanische Volk in seinem Kampf um politische Rechte zu unterstützen.
"Das ist noch lange nicht vorbei. Habt Zuversicht und gebt nicht auf."
Spanien bemüht sich seit Jahren vergeblich um die Auslieferungen der drei Politiker, gegen die auch europäische Haftbefehle vorliegen. Belgien hatte eine Auslieferung von Puigdemont und Comín im vergangenen Januar abgelehnt und den Vollzug des Haftbefehls mit Blick auf die Immunität der Abgeordneten ausgesetzt. Dabei führte die belgische Justiz verschiedene Gründe an, die gegen eine Abschiebung sprechen – etwa, dass es im belgischen Recht den Tatbestand des Aufruhrs oder der Aufwiegelung zur Abspaltung nicht gebe, die den katalanischen Politikern zur Last gelegt werden, oder formale Gründe, wie etwa mangelnde Zuständigkeit des Gerichtes in Spanien.
Auch wurde in verschiedenen Verfahren anerkannt, dass Puigdemont und seine Mitstreiter bei einem Verfahren in Spanien möglicherweise keinen fairen Prozess bekommen würden. Belgische Richter gingen davon aus, die Unschuldsvermutung sei außer Kraft gesetzt, weil die spanische Justiz die Beschuldigten quasi vorverurteilt hätte.
Ponsatí rückte erst nach dem Brexit in das EU-Parlament nach, sie lebt in Schottland. Auch Schottland hatte die spanische Auslieferungsanträge abgewiesen und befindet sich zudem seit dem Brexit außerhalb der EU.
Ehemalige Kabinettskollegen Puigdemonts, die in Katalonien blieben, wurden zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der frühere Vizepräsident Oriol Junqueras muss für 13 Jahre ins Gefängnis. Auch er war ins EU-Parlament gewählt worden, konnte sein Mandat wegen der Verurteilung aber nicht antreten.
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