Nach jahrelangem Streit vollzieht Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán den Bruch mit der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. Orbán zog die zwölf Abgeordneten seiner Regierungspartei Fidesz am Mittwoch aus dieser christdemokratischen Gruppe im Parlament ab. Zuvor hatte eine große Mehrheit der Fraktion für eine Änderung ihrer Geschäftsordnung gestimmt, was in der Folge die Suspendierung des Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) erlaubt hätte. Orbán sah dies als Affront.
Hintergrund ist die schwelende Auseinandersetzung über "EU-Grundwerte und Rechtsstaatlichkeit". Der konservativ-nationale Orbán steht wegen seiner Ambitionen für eine "illiberalen Demokratie" schon länger in der Kritik. 2014 hatte Orbán in einer Rede die Zukunft Ungarns mit den Worten skizziert:
"Und in diesem Sinne ist der neue Staat, den wir in Ungarn errichten, ein illiberaler Staat, ein nicht-liberaler Staat. Er lehnt die Grundprinzipien des Liberalismus wie die Freiheit nicht ab, und ich könnte noch einige mehr aufzählen, aber er macht diese Ideologie nicht zum zentralen Element der Staatsorganisation, sondern beinhaltet einen anderen, speziellen, nationalen Ansatz."
Auch wurde Ungarn immer wieder für seine Flüchtlings-, Medien-, Hochschul- und Justizpolitik kritisiert. Gegen Ungarn läuft unter anderem ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge. Orbán schrieb nach der Abstimmung über die Geschäftsordnung an den EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU):
"Ich informiere Sie hiermit, dass die Fidesz-Europaabgeordneten ihre Mitgliedschaft in der EVP-Fraktion beenden."
Die Regeländerungen der EVP seien klar feindlich gegen den Fidesz und dessen Wähler gerichtet. Dass gewählte Abgeordnete an der Ausübung ihrer Pflicht gehindert werden sollten, sei antidemokratisch, ungerecht und unakzeptabel. Den Brief veröffentlichte Fidesz-Vizechefin Katalin Novak auf Twitter.
Die Beendigung der Fidesz-Mitgliedschaft in der EVP-Fraktion folgt auf den jahrelangen Streit in der Parteienfamilie, der auch CDU und CSU angehören. Auf Parteiebene ist die Mitgliedschaft des Fidesz in der EVP der EU bereits seit 2019 suspendiert, schon damals wurde dieser ungarischen Partei vorgeworfen, dass sie gegen "EU-Grundwerte" verstoße.
2019 kam es zu einem Eklat, nachdem Ungarns Regierung eine Plakatkampagne startete, die unter anderem den ungarisch-amerikanischen Milliardär György Soros zusammen mit dem damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zeigte. "Sie haben das Recht zu wissen, was Brüssel plant", war darauf zu lesen. Und weiter: "Sie wollen verpflichtende Umsiedlungsquoten einführen. Sie wollen die Rechte der Mitgliedsstaaten auf Grenzschutz schwächen. Sie wollen mit Migranten-Visa die Einwanderung erleichtern."
Der damalige EU-Kommissionspräsident sah daraufhin keinen Platz mehr für die Fidesz in der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Juncker erklärte damals:
"Ich finde, dass die Konservativen in Ungarn die christdemokratischen Werte in keinerlei Weise vertreten. Es gibt zwischen Herrn Orbán und mir keinerlei Schnittmengen."
Der nun vollzogene Bruch bedeutet auch eine Zäsur für den deutschen EVP-Fraktionsvorsitzenden Weber, der lange zu vermitteln versuchte, zuletzt aber in scharfen Konflikt mit Orbán geriet. Weber hatte unmittelbar vor der Entscheidung seiner Fraktion über die Geschäftsordnung noch einmal an Orbán geschrieben und ihm ein Telefonat vorgeschlagen. In dem Brief erinnerte Weber daran, dass die Änderung der Geschäftsordnung noch keine unmittelbare Auswirkung auf irgendein Mitglied der EVP-Fraktion habe oder die Grundrechte von Abgeordneten einschränken werde.
Denkbar wäre nun ein Wechsel der Fidesz-Abgeordneten zu einer der anderen Fraktionen im EU-Parlament. Für die ID-Fraktion schrieb der AfD-Chef Jörg Meuthen am Mittwoch in einer Pressemitteilung: "Orbán ist bei uns willkommen!"
Orbán hatte bereits am Sonntag in einem Brief an Weber gedroht, die Fidesz-Abgeordneten aus der Fraktion der EVP zurückzuziehen, falls die Fraktion die Änderung der Geschäftsordnung billigen sollte.
Seine Kritiker in der EVP-Fraktion betonten aber in der Debatte, von dieser Drohung solle man sich nicht einschüchtern lassen. Letztlich stimmten gut 84 Prozent der Teilnehmer für die neue Geschäftsordnung.
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