Im Brexit-Streit bewegen sich die Europäische Union und Großbritannien offenbar auf eine Einigung zu. Man sei "in der Endphase", hieß es am Mittwochnachmittag aus EU-Kommissionskreisen. Beide Seiten verhandeln seit Monaten über einen Handelspakt für die Zeit ab 1. Januar.
Kurz vor Ablauf der Brexit-Übergangsphase kritisieren Europaabgeordnete scharf, dass immer noch kein Handelsabkommen der Europäischen Union mit Großbritannien steht. Diese Übergangsfrist läuft am 31. Dezember aus. Nach Ende der Frist scheidet Großbritannien automatisch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Anschlussvertrag drohen Zölle und Handelshemmnisse sowie verschärfte Warenkontrollen an den Grenzen. Die britische Wirtschaft würde von einem Vertrag laut Ökonomen deswegen noch stärker profitieren als die EU. Gelänge ein Durchbruch, könnte ein harter wirtschaftlicher Bruch zum Jahresende in letzter Minute vermieden werden.
Das EU-Parlament hatte bereits angekündigt, die nötige Ratifizierung einer in den nächsten Tagen erzielten Einigung wenn überhaupt erst im Nachhinein vornehmen zu können.
Am Dienstag sagte Michel Barnier, der Beauftragte der EU-Kommission für die Verhandlungen zu dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, die EU mache einen "letzten Vorstoß", um vor dem 31. Dezember ein Brexit-Handelsabkommen mit Großbritannien zu schließen, berichtete CNBC. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Großbritanniens Premierminister Boris Johnson standen in letzten Tagen im ständigen Austausch, um in letzter Sekunde noch ein Handelsabkommen abzuschließen.
Zuletzt drehten sich die seit Monaten laufenden Verhandlungen vor allem um Streitfragen wie die künftigen Fischereirechte und die Regeln für einen fairen Wettbewerb. Die EU will den Zugang zu den Gewässern des Vereinigten Königreich für ihre Fischereiflotten aufrechterhalten, während das Vereinigten Königreich diese Fischereirechte weitgehend einschränken will. Ein No-Deal-Szenario könnte dazu führen, dass der Zugang der EU zu britischen Gewässern auf einmal endet und dementsprechend umgekehrt auch. Großbritannien hatte bereits mit dem Einsatz von Kanonenbooten zum Schutz britischer Gewässer gedroht. Es gibt zudem Bedenken, dass einige Fischereiflotten jegliche Beschränkungen ignorieren könnten, was zu möglichen Zusammenstößen führen könnte.
Seit Tagen stauen sich auf britischer Seite Tausende Lastwagen auf dem Weg auf den Kontinent, weil Frankreich wegen des mutierten Coronavirus zeitweise die Grenze abgeriegelt hatte. Aus Sicht von Kritikern ein "Vorgeschmack" auf die Lage bei einem "No-Deal-Brexit".
Der Brexit hat auch Folgen für Zehntausende Deutsche in Großbritannien. Die deutsche Botschaft in London sieht noch großen Nachholbedarf bei den Anträgen von Deutschen und anderen EU-Bürgern auf ein Bleiberecht. Ende September hatten sich nach Angaben des Innenministeriums in London 111.420 Deutsche um ein Bleiberecht beworben, meldete die Deutsche Presse-Agentur. Insgesamt leben etwa 144.000 Deutsche im Land. EU-Bürger, die in Großbritannien leben, müssen unter dem sogenannten "EU Settlement Scheme" einen Antrag auf Bleiberecht stellen. Bürger aus der EU, die erst nach dem 1. Januar ins Land kommen wollen, werden Visa und eine Zusage nach dem neuen britischen Immigrationssystem benötigen, um in Großbritannien leben und arbeiten zu dürfen.
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