Mit Flugverboten und Grenzschließungen rüstet sich Europa gegen eine in Großbritannien entdeckte, hoch ansteckende Variante des Coronavirus. Deutschland stoppt Flüge aus Großbritannien weitgehend. Landungen aus dem Land sind ab Mitternacht untersagt, wie aus einer Verfügung des Bundesverkehrsministeriums vom Sonntag hervorgeht. Ausgenommen sind demnach etwa reine Frachtflüge.
Die Virus-Mutation ist nach britischen Behördenangaben bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form und weitet sich vor allem in London und Südostengland rasant aus. Für die Region ordneten die Behörden einen Shutdown mit Ausgangs- und Reisesperren an.
Die Bundesregierung hatte angekündigt, dass sie auch für den Reiseverkehr zwischen Deutschland und dem ebenfalls betroffenen Südafrika Einschränkungen beabsichtigt. Für beide Länder solle noch am Montag eine Verordnung erlassen werden, kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn in der ARD an. Das Bundesinnenministerium hatte die Bundespolizei bereits am Sonntag angewiesen, Reisende aus Großbritannien und Südafrika sofort systematisch zu kontrollieren.
Wie bereits im Frühling mit den Grenzschließungen innerhalb der EU preschten auch diesmal mehrere Länder vor und ließen keine Einreisen aus dem Vereinigten Königreich mehr zu. Die Niederlande sagten Flüge von und nach Großbritannien ab. Auch Belgien schloss für mindestens 24 Stunden seine Grenzen zu Großbritannien. Dies betrifft auch den Eurostar-Zug durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal. Frankreich verhängte ein Einreiseverbot für Reisende aus Großbritannien auf dem Luft-, See- und Landweg. Italien will die Flugverbindungen mit Großbritannien aussetzen, Österreich kündigte ebenfalls ein Landeverbot an. Auch die britischen Landesteile Wales und Schottland verschärften die Restriktionen. Norwegen verlangt einen negativen Corona-Test. Großbritanniens enger Nachbar Irland untersagte für mindestens 48 Stunden Flüge aus Großbritannien.
Nun soll ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der EU auf den Weg gebracht werden. So sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa:
"Wir sind in Kontakt mit den Mitgliedsstaaten, um den Informationsaustausch zu steigern, und um zu prüfen, wie sie sich koordinieren können."
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat wegen der Mutation für Montag ein Notfalltreffen mit Vertretern weiterer Mitgliedsstaaten einberufen. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel erörterten in einem Telefonat die Lage. Nach Angaben aus Kreisen im Élysée-Palast steht ein gemeinsames Vorgehen angesichts der neuen Variante des Coronavirus im Mittelpunkt.
Die britische Regierung zeigte sich indes besorgt über die Virus-Mutation. So sagte Gesundheitsminister Matt Hancock am Sonntag der BBC:
"Sie ist außer Kontrolle, und wir müssen sie wieder unter Kontrolle bekommen."
Premierminister Boris Johnson betonte aber, es gebe keine Hinweise darauf, dass die Mutation mit dem Namen VUI2020/12/01 schwerere Krankheitsverläufe oder eine höhere Sterblichkeitsrate auslöse oder dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien.
Einzelne Fälle der Mutation sind offenbar bereits in der EU aufgetreten. Das italienische Gesundheitsministerium teilte mit, bei einem Patienten das entsprechende Genom sequenziert zu haben. Der Patient war demnach kürzlich mit einer weiteren Person in einem Flugzeug aus dem Vereinigten Königreich kommend in Rom gelandet. Die beiden seien in Isolation. Gesundheitsminister Jens Spahn erwähnte im ZDF Fälle in Dänemark, die aber nach Angaben dänischer Behörden unter Kontrolle seien. Der Europaabgeordnete Peter Liese sprach von nachgewiesenen Infektionen in Belgien und den Niederlanden. "Es wird ja erst seit Kurzem überhaupt auch diese neue Variante gezielt getestet. Man kann nicht ausschließen, dass es schon viele Infektionen auf dem Kontinent gibt", sagte er der Zeitung Die Welt.
In Deutschland ist die neue Variante nach Angaben des Berliner Charité-Virologen Christian Drosten bisher nicht aufgetaucht. Die Verbreitung könne Zufall sein, schrieb der Corona-Experte auf Twitter. Die Mutationen verschafften dem Virus nicht zwingend einen Selektionsvorteil, auch wenn das möglich sei. Ein Selektionsvorteil kann dazu führen, dass sich ein Virus leichter ausbreiten kann.
Die britische Regierung unter Premierminister Johnson hat angesichts der Virus-Variante strenge Maßnahmen ergriffen. Mehr als 16 Millionen Menschen sind betroffen, die ihre Häuser nur noch zur Arbeit und in Ausnahmefällen wie für Arztbesuche oder Lebensmitteleinkäufe verlassen dürfen. In London und in anderen Regionen gilt nun die neue höchste Corona-Stufe 4. Einwohner dürfen das Gebiet nicht verlassen.
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(dpa/rt)