Am Freitagabend haben im Zentrum der polnischen Hauptstadt Warschau Zehntausende Menschen gegen das neue Abtreibungsrecht protestiert. Viele Demonstrantinnen trugen Plakate mit den Aufschriften "Mein Körper, meine Wahl" und "Ich möchte sicher gebären, nicht für eine Idee". Manche zündeten bengalische Feuer. Die Polizei musste mehrere große Straßen absperren. Zu dem zentralen Protestmarsch durch die Hauptstadt hatte die Organisation "Allpolnischer Frauenstreik" aufgerufen.
Der friedliche Protestmarsch wurde von einem Angriff mehrerer maskierter Männer überschattet. Sie bewarfen die Menschenmenge mit angezündeten Feuerwerkskörpern.
Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Seiten.
Die regierende PiS wurde überrollt von der Wucht der Proteste und der Wut, die sich gegen die Partei und die katholische Kirche richtete. Parteichef Jarosław Kaczyński witterte gar eine Verschwörung: Die Demonstranten seien geschult von dunklen Kräften, die Polen vernichten möchten. Präsident Andrzej Duda bemühte sich, die Lage zu beruhigen, und kündigte am Freitag eine eigene Gesetzesinitiative an: Ein Schwangerschaftsabbruch soll erlaubt bleiben, wenn es laut medizinischer Diagnose wahrscheinlich ist, dass das Kind tot zur Welt kommen oder wegen seiner Fehlbildungen kurz nach der Geburt sterben wird. Das schließt allerdings eine Abtreibung aus, wenn die Diagnose zum Beispiel auf eine Behinderung wie das Down-Syndrom hinweist, da dieses nicht lebensbedrohlich ist.
Die Proteste sind eine neue Eskalation im Streit um das Abtreibungsrecht, um das in Polen seit Jahrzehnten gerungen wird. In der kommunistischen Zeit waren die Hürden für einen Schwangerschaftsabbruch niedrig. Nach der Wende drangen die katholische Kirche und konservative Eliten auf ein totales Abtreibungsverbot. Doch dafür gab es keinen gesellschaftlichen Konsens. Im Jahr 1993 einigte man sich auf einen Kompromiss: Ein Abbruch war legal, wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet, Ergebnis einer Vergewaltigung ist oder wenn das Ungeborene schwere Fehlbildungen aufweist. Das Verfassungsgericht entschied aber in der vergangenen Woche, dass Frauen auch dann nicht abtreiben dürfen, wenn ihr Kind schwere Fehlbildungen hat.
Bereits jetzt haben viele Frauen sogar bei vorliegender medizinischer Indikation große Schwierigkeiten, einen Schwangerschaftsabbruch in einem lokalen Krankenhaus zu bekommen. Das polnische Recht ermöglicht es nämlich Ärzten und Pflegepersonal, diese Eingriffe per Gewissensentscheidung abzulehnen. Daher sehen sich viele Betroffene gezwungen, für eine Abtreibung ins Ausland zu fahren. (dpa)
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