Im Prozess um den sogenannten Tiergartenmord in Berlin rechnet das Außenministerium in Moskau nicht mit einer objektiven Aufklärung der Tat. "Man gewinnt die Überzeugung, dass in Berlin schon eine gewisse politische Entscheidung bezüglich des Urteils getroffen wurde", sagte Marija Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, am Donnerstag laut Nachrichtenagentur Interfax.
Es sei naiv, auf die Objektivität und Unabhängigkeit der deutschen Justiz zu hoffen. Es gebe keine Zweifel, dass am Ende des Verfahrens die Schuld für die tödliche Attacke russischen staatlichen Strukturen zugeschrieben werde, wie dies bereits in der Presse geschrieben worden sei, so Sacharowa.
Am 23. August 2019 war in der Berliner Parkanlage am helllichten Tag ein 40-jähriger Georgier tschetschenischer Abstammung mit einer Schalldämpferpistole erschossen worden. Am Mittwoch begann am Berliner Kammergericht der Prozess gegen einen tatverdächtigen Russen. Er ließ über seinen Anwalt erklären, er heiße Vadim S., sei 50 Jahre alt und Bauingenieur. Laut Bundesanwaltschaft ist er 55 Jahre alt und hat einen anderen Namen. Zum Prozessauftakt am Mittwoch äußerte sich der hinter Panzerglas sitzende Angeklagte nicht zu den Vorwürfen.
Bundesanwalt Ronald Georg ist der Ansicht, das Opfer sei aus Sicht der russischen Regierung ein Staatsfeind gewesen, da er im Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft habe. Daher geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass russische Stellen den Mann mit der Tat beauftragt haben. Sie wirft ihm Mord sowie illegalen Waffenbesitz vor.
Mehr zum Thema - Russlands Botschafter zu Tiergarten-Mord: Anschuldigungen nach wie vor nicht durch Fakten bekräftigt
Wie die Tagesschau berichtet, hat die Bundesanwaltschaft in einer 67 Seiten langen Anklageschrift die Belege für ihre Thesen aufgelistet. Bemerkenswert sei an diesem Dokument, dass darin staatliche Stellen in Russland höchst offiziell des Staatsterrorismus in der Bundesrepublik bezichtigt würden. Auch heißt es, die Anklage stütze sich in weiten Teilen nicht auf die Ermittlungsergebnisse der Polizei oder die Erkenntnisse der deutschen Geheimdienste, sondern vor allem auf die Recherchen der umstrittenen Onlineplattform Bellingcat.
Bellingcat verfügt über rund ein Dutzend Festangestellte und ungefähr 60 freie Mitarbeiter. Man hat sich darauf spezialisiert, anhand sogenannter "Open Source Intelligence" (OSINT), also frei verfügbarer Quellen wie etwa Satellitenbildern, Youtube-Videos oder Fotodatenbanken, gegen russische und syrische staatliche Stellen zu ermitteln. Finanziert wird Bellingcat nach eigenen Angaben durch Crowdfunding. Geldgeber sind neben anderen Organisationen wie die niederländische Lotterie-Stiftung und die Open Society Foundation. Kritiker werfen Bellingcat vor, in die Tätigkeiten westlicher Geheimdienste verstrickt zu sein.
Mehr zum Thema - Der Fall Nawalny und der Nowitschok-Nebel (Teil 1)