Im Berliner Kammergericht hat heute ein Prozess um den sogenannten "Tiergarten-Mord" begonnen. Die Bundesstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass Russland den Mord in Auftrag gegeben hat.
Was war passiert? Am 23. August 2019 beobachteten Jugendliche im Kleinen Tiergarten in Berlin, wie ein Mann mittleren Alters mit einer Kurzwaffe mit Schalldämpfer, einer Glock 26, seinem Opfer zweimal in den Kopf schoss. Danach warf er seinen Rucksack, seine Perücke und sein Fahrrad in die Spree. Die Zeugen benachrichtigten die Polizei. Der Tatverdächtige konnte sofort festgenommen werden.
Auf der Wache stellten sich dann folgende brisante Fakten heraus: Der Pass wies den Festgenommenen als Wadim Sokolow aus, 55 Jahre alt, russischer Staatsbürger. Bald wussten die Kriminalbeamten, dass dies eine Tarnidentität war, trotz der Echtheit des Pass-Dokuments. Tatsächlich soll es sich um Wadim Krassikow handeln. Der mutmaßliche Mörder soll getarnt als Tourist mit Alias-Namen aus Moskau über Paris und Warschau nach Berlin eingereist sein. Der Tatverdächtige sitzt immer noch in Untersuchungshaft.
Krassikow hatte mutmaßlich im Juni 2013 einen Geschäftsmann in Moskau erschossen. Die russischen Behörden gaben im April 2014 eine Fahndungsmitteilung zu dem mutmaßlichen Täter heraus. Doch im Juli 2015 wurde sie gelöscht.
Inzwischen wusste man auch, wer der Tote war: Selimchan Changoschwili, ein 40 Jahre alter Tschetschene mit georgischer Staatsbürgerschaft, der auf dem Weg zum Freitagsgebet in die Moschee war. Der Mann, der auch einen Pass mit dem Namen Tornike Kavtaradze besaß, war 2016 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Hintergrund sei demnach "die Gegnerschaft des späteren Opfers zum russischen Zentralstaat, zu den Regierungen der Autonomen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien sowie zu der pro-russischen Regierung Georgiens" gewesen. Der Mann war von russischen Behörden als Terrorist eingestuft worden. Wegen des vermuteten politischen Hintergrunds hatte die höchste deutsche Anklagebehörde die Ermittlungen übernommen. Der Fall führte zu einer Krise in den deutsch-russischen Beziehungen.
Die Bundesanwaltschaft wirft Moskau vor, einen Auftragsmord auf deutschem Boden veranlasst, den Täter dafür vorbereitet und nach Berlin geschickt zu haben. Sie spricht von einem "Staatsterrorismus".
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, dass mit weiteren Konsequenzen zu rechnen sei. Die Bundesregierung wirft der russischen Regierung seit Monaten fehlende Kooperation in dem Fall vor und hatte deswegen bereits wenige Wochen nach dem Mord zwei russische Diplomaten ausgewiesen.
Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Ukraine-Gipfel zornig und nannte den Ermordeten einen "Banditen" und "Mörder". Wenig später wurden auch zwei deutsche Diplomaten in Moskau ausgewiesen.
Für den Prozess um den sogenannten Tiergarten-Mord sind 25 Verhandlungstermine bis zum 27. Januar 2021 festgesetzt. Er findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen am Berliner Kammergericht statt. Die Hauptverhandlung wird von einem Staatsschutzsenat des Gerichts geführt.
Das Urteil könnte erhebliche politische Auswirkungen haben. Sollte es das Gericht als erwiesen ansehen, dass der Angeklagte einen Auftrag zum Töten aus Moskau bekam, wäre dies ein weiterer herber Rückschlag für das ohnehin schon schwer angeschlagene Verhältnis beider Länder.
Mehr dazu - Bundesanwaltschaft geht von Auftragsmord des Kremls aus: Anklage im Tiergarten-Mord erhoben