Seit dem Vorfall am Mittwochabend fragen sich die Menschen in der Region, wie sicher sie tatsächlich vor den Migranten sind. Der tödliche Streit zwischen Afghanen und Pakistanern wurde mit Waffengewalt beendet. Laut Augenzeugen wurden sieben Schüsse abgefeuert, zwei Menschen starben dabei, 18 weitere wurden durch Messerstiche und Knüppel verletzt, wie Polizeisprecher Ale Šiljdedić mitteilte. Bei den Toten handelt es sich um pakistanische Staatsbürger. Mohammed, ein nach eigenen Angaben 18-jähriger junger Mann und Zeuge des Vorfalls, beschreibt, wie die Afghanen die Pakistaner angegriffen und ihnen ihre Wertsachen abgenommen hätten.
Die Täter sollen demnach in Richtung kroatischer Grenze geflohen sein, die Fahndung nach ihnen läuft mit Hochdruck.
Was genau die Hintergründe dieses Vorfalls sind, konnte bisher nicht ermittelt werden. Die Tat geschah auf jeden Fall nur kurz nachdem bosnische Behörden das Migrantencamp Bira mit Gewalt geschlossen und die rund 350 Migranten in das bereits überfüllte Zeltlager Lipa gebracht hatten. Der für den westlichen Balkan zuständige UN-Missionschef für Migration, Peter Van der Auweraert, beklagte diese Entscheidung und nannte sie "inhuman und unnötig". Die Menschen machten sich nun zu Fuß von Lipa aus auf den Weg in die Stadt Bihać, um sich vor der Kälte zu schützen.
Das Aufeinandertreffen der Afghanen mit den Pakistanern ereignete sich außerhalb des Ortes Žegar, als sich die Gruppen offensichtlich auf dem Weg in Richtung kroatischer Grenze befanden.
Ein großes Problem für die Lokalbehörden des Kantons Una-Sana ist laut Innenminister Nermin Kljajić der Umstand, dass man sich von der Bundesregierung von Bosnien und Herzegowina in Sarajewo alleingelassen fühlt. Man habe "in den vergangenen drei Jahren keinen Partner" gehabt, mit dem man eine Lösung hätte erarbeiten können, beklagt sich Kljajić. Da auch für die Bevölkerung in Bihać immer offensichtlicher wurde, dass von Sarajewo keine Hilfe zu erwarten ist, verlangten sie die Schließung des Camps Bira.
Die Meinung zu den Migranten veränderte sich zwischenzeitlich. Während am Anfang eine breite Hilfsbereitschaft bei den Menschen zu verzeichnen war und auch die Zusammensetzung bei den Neuankömmlingen eine andere war, sieht es inzwischen anders aus. Statt Familien sind es jetzt größtenteils Männer zwischen 20 und 30 Jahren, sagt etwa Sajdin Smajić, ein Einwohner der Ortschaft Ključa. Und sie kommen nicht aus Kriegsgebieten, sondern sind Wirtschaftsmigranten.
Wenn man sich fragt, warum so eine große Zahl von ihnen nicht legal migriert und dabei noch ihre persönliche Identität verheimlicht oder darüber lügt, und wenn wir dann noch ihre Streitereien untereinander und Zerstörung von Eigentum der einheimischen Bevölkerung betrachten, dann löst das Besorgnis bei unseren Bürgern aus.
Tatsächlich gibt es immer wieder Berichte und Meldungen bei der Polizei über Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Migrantengruppen bzw. verschiedenen Ethnien und über Einbrüche. Dieses Problem ist allerdings nicht nur auf Bosnien beschränkt, sondern sorgt auch in Kroatien immer wieder für böse Überraschungen.
Wie der bereits erwähnte 18-jährige Mohammed aus Pakistan wollen die meisten Migranten, die in Bosnien feststecken, weiter nach Deutschland ziehen. Der Weg führt sie dabei über die grüne Grenze nach Kroatien, von wo aus es weiter über Slowenien und dann entweder über Italien/Schweiz oder Österreich nach Deutschland gehen soll. Da die kroatische Polizei aber mithilfe der EU die Grenzen gut überwacht, sind Grenzübertritte äußert schwierig. Aus diesem Grund nehmen die Migranten teils große Umwege in Kauf, um den bekannten Marschrouten auszuweichen und kroatische Kontrollpunkte zu umgehen.
Eine solche neue Route ist der Umweg über die Stadt Gospić in der Gespanschaft Lika-Senj, die nur über das Velebit-Gebirge aus Bihać kommend zu erreichen ist. Anfang der Woche verirrte sich bei Frühnebel und Bodentemperaturen um 1,4 Grad Celsius eine größere Zahl von Migranten und verlor dabei die Orientierung. Als die Polizei auf sie aufmerksam wurde, versuchte diese, sie in Gruppen zusammenzubringen. Dabei stießen sie auf ein Haus, in das zuvor eingebrochen worden war. Auf den zerbrochenen Fensterscheiben fanden sie Blutspuren, und auf der Türe wurde diese Nachricht für den Eigentümer hinterlassen:
Sorry friend. I very hungry. I am Khan.
Offensichtlich brach "Khan" und möglicherweise noch weitere Personen auf der Suche nach etwas Essbarem in das Haus ein und hinterließ anschließend diese Nachricht. Ob irgendetwas gestohlen wurde, war am Tag danach noch nicht bekannt. Immer wieder findet die Polizei Spuren von Migranten, wo sie nach Nahrungsmitteln suchten. Gärten werden nach Ost und Gemüse durchwühlt, Hühner aus Hühnerställen gestohlen, und selbst Wildtiere werden offensichtlich gefangen. Delikte wie Einbrüche und Diebstahl stehen ebenfalls in Verbindung mit Migranten.
Wenn die Menschen aber von der Polizei erwischt und gefangen genommen werden, werden sie in aller Regel wieder nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben und dort erneut ihrem Schicksal überlassen. Dabei soll es oft zu Polizeigewalt kommen, um die Migranten vor einem erneuten Versuch abzuschrecken. Im vergangenen Jahr sorgte das Geständnis eines Polizisten für großes Aufsehen in Kroatien, als er bestätigte, dass man auf Anordnung sowohl gegen kroatische als auch internationale Gesetze verstoße. Zwar müssten die Polizisten Befehle den ranghöheren Instanzen melden, wenn sie der Auffassung sind, dass diese nicht gesetzeskonform sind. Doch in diesem Fall könnten sie sich an niemanden wenden, weil die dafür zuständigen Stellen auch diejenigen sind, die diese illegalen Befehle erteilten. "Das ist ein offenes Geheimnis", sagte er weiter.
Bei einem Besuch in Zagreb im November 2019 erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Kroatien die EU-Außengrenze "schützen soll" und dass solche Dinge aus der Perspektive dieses Landes "noch mal anders" aussehen als aus deutscher Sicht.
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