Die angebliche Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny hat bei den Gegnern der Gaspipeline Nord Stream 2 Hoffnungen geweckt, das Projekt unter der Welle der Entrüstung endgültig begraben zu können. Politiker der Grünen, der FDP und Teile der CDU attackierten Nord Stream 2 in den letzten Wochen massiv.
Während auch die Position der deutschen Bundesregierung unter dem Eindruck dieser Attacken zuletzt immer unklarer geworden war, sprachen sich am Dienstag sowohl Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen deutlich für das Projekt aus.
Die Gaspipeline Nord Stream 2 solle nicht im Zusammenhang mit der angeblichen Vergiftung Nawalnys gesehen werden, so Van der Bellen. Seiner Meinung nach kann die EU den Vorfall um Nawalny nicht ohne Reaktion hinnehmen und müsse jetzt über weitere Schritte in dieser Situation entscheiden.
Ich betone, dass ich persönlich keinen Zusammenhang zwischen dem Fall Nawalny und Nord Stream 2 sehe. Für mich ist Nord Stream 2 ein kommerzielles Projekt, das im Wesentlichen Russland, die Ukraine und europäische Partner betrifft", sagte Van der Bellen auf die Frage, ob er die Idee unterstützt, Nord Stream 2 aufgrund des Vorfalls um Nawalny zu blockieren. "In diesem speziellen Fall sprechen wir über eine Diversifizierung der Gaslieferungen. Dies ist ein kommerzielles Thema."
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Van der Bellen betonte, dass Österreich seit mehr als 50 Jahren Gas von Gazprom kaufe und nur gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit mit dem russischen Gasgiganten habe. Er begrüßte auch das Abkommen zwischen Russland und der Ukraine über den Gastransit.
Dies sagte der österreichische Staatschef bei einem Presseauftritt mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij. Der ukrainische Gast traf am 15. September in Wien ein, um sich mit Van der Bellen, Kurz und dem Präsidenten des österreichischen Nationalrats Wolfgang Sobotka zu treffen.
Kurz sieht wie Van der Bellen keinen Bedarf, Nord Stream 2 wegen des angeblichen Giftanschlags auf Nawalny zu stoppen. Die Pipeline sei ein "wirtschaftliches, ein positives Projekt", sagte der Bundeskanzler nach dem Gespräch mit Selenskij. Auch Kurz verurteilte den "Anschlag" und forderten eine Untersuchung. Er unterstrich, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Gleichzeitig betonte er, mit Van der Bellen übereinzustimmen. Kurz ergänzte: Bei dem Projekt, an dessen Finanzierung auch die OMV beteiligt ist, gehe es um eine Diversifikation der Routen.
OMV: fast eine Milliarde Darlehen
Nach Unternehmensangaben finanzierte der österreichische Energieriese OMV die Gaspipeline bislang mit 687 Millionen Euro (Stand Januar 2020). Zugesagt sind insgesamt 950 Millionen Euro als Darlehen. "Wir sind Investor einer Infrastruktur. Nach der Fertigstellung wollen wir, dass unser Darlehen zurückgezahlt wird", hieß es von der OMV. Der österreichische Staat ist mit 31,5 Prozent der Aktien der größte Investor der OMV.
Die circa zehn Milliarden Euro teure Leitung wird von Gazprom, Wintershall, Uniper sowie den Ölkonzernen OMV, Shell und dem französischen Energieunternehmen Engie finanziert. Gazprom trägt die Hälfte der Investitionskosten.
Nord Stream 2 ist die Erweiterung der bereits bestehenden Nord-Stream-Erdgas-Pipeline. Die Kapazitäten auf der Pipelinetrasse werden sich mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verdoppeln. Seit Ende Dezember 2019 sind ist der Weiterbau der 1.230 Kilometer langen Strecke wegen der US-Sanktionen eingefroren, noch sind gut 150 Kilometer der Pipeline zu verlegen.
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