Weiß-rot-weiß statt rot-grün: Telegram schafft weißrussische Staatsflagge ab

Telegram will ab sofort auf das Emoji mit der weißrussischen Fahne verzichten. Stattdessen soll nun die Fahne der Oppositionellen angezeigt werden. Seit Wochen versuchen mehrere Telegram-Kanäle mit Millionenreichweite, die Staatsmacht in Weißrussland zu stürzen.

Der Messengerdienst Telegram gab bekannt, ab sofort die weißrussische Staatsflagge durch die Fahne der Opposition zu ersetzen. "Gutes Timing, wir haben ein animiertes Emoji hinzugefügt, um die rot-grüne Flagge durch eine weiß-rot-weiße zu ersetzen. Um es zu sehen, senden Sie in jedem Chat ein einzelnes Emoji mit der belarussischen Fahne", teilte Telegram via Twitter mit.

In der Liste ist nach wie vor die rot-grüne Flagge zu sehen, beim Versenden im Chat verwandelt sich jedoch das Symbol, und die Flagge wird weiß-rot-weiß angezeigt:

Der symbolische Staatssteich kam bei vielen Nutzern gut an.  

Vielen Dank, liebes Telegramm! (...) Wir lieben Dich sehr, vielen Dank für Deine Unterstützung!!!", schrieb eine begeisterte Nutzerin. 

Auch viele andere Nutzer begrüßten die Entscheidung. Doch es gab auch kritische Stimmen. "Das milliardenschwere, oligarchische Telegram brüstet sich öffentlich damit, dass es die reale, international anerkannte rot-grüne Flagge Weißrusslands durch die weiß-rot-weiße ersetzt hat, die vom Nazi-Besatzungsregime benutzt wurde und von den westlich unterstützten Demonstranten reanimiert wurde", schrieb der unabhängige Journalist Ben Norton. 

Der Verweis des Journalisten auf die Nazi-Zeit ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Zwar geht die Erstnutzung der Fahne auf den ersten Versuch der belarussischen Staatsgründung zurück – den Protostaat "Belorussische Volksrepublik" im Jahre 1917. Doch unter dieser Fahne beteiligten sich auch weißrussische Nationalisten und Nazikollaborateure während des Zweiten Weltkrieges am Terror gegen die Zivilbevölkerung. Weißrussland verlor als Teilrepublik der Sowjetunion über zwei Millionen seiner Einwohner und damit mindestens ein Viertel der Bevölkerung. 

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Diese Fahne erlebte jedoch Ende der 1980er-Jahre eine Renaissance, als die nationalkonservative Partija BNF (zu Deutsch etwa "Partei Belarussische Volksfront") sie zu ihrem Symbol machte. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde die weiß-rot-weiße Fahne für mehrere Jahre zur Staatsflagge der unabhängigen Republik Belarus. Doch der 1994 gewählte Präsident Alexander Lukaschenko ließ sie via Referendum durch die modifizierte rot-grüne Fahne der Weißrussischen SSR ersetzen. 75 Prozent der Bürger stimmten dafür, 20 Prozent dagegen – die Fahne wurde geändert. Seitdem wird die weiß-rot-weiße Fahne von der nationalistischen und prowestlich orientierten weißrussischen Opposition verwendet.

Vor und während der Proteste gegen Lukaschenko entwickelten sich zahlreiche Telegram-Kanäle zu deren Sprachrohr. Zwei Kanäle – NEXTA und NEXTA Live – zählen zusammen inzwischen drei Millionen Abonnenten. Beide werden von jungen, in Polen ansässigen Weißrussen betrieben. Diese und mehrere weitere Kanäle trugen zur Popularisierung der weiß-rot-weißen Fahne als Symbol des Protestes gegen den autoritär regierenden Präsidenten bei. Sie überschwemmen das Netz mit kurzen Videos von Protestaktionen, koordinieren die Protestierenden, trainieren sie und geben Anweisungen zum effektiveren Protestverhalten. So weisen Telegram-Kanäle die Nutzer nach erfolglosen Aufrufen zu Streiks in den Staatsbetrieben nun an, ihr Bargeld abzuheben und auf den Kauf belarussischer Produkte zu verzichten, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch und darauf folgenden Sturz der Regierung zu erwirken.

Die verschlüsselte Messenger-App Telegram wurde vom Russen Pawel Durow im Jahr 2013 entwickelt und wird insbesondere in Russland, Osteuropa und asiatischen Ländern als Plattform für politische Kurzinhalte, Chats und verschlüsselte Kommunikation aktiv verwendet. Allein in Russland zählt man derzeit bis zu 30 Millionen Telegram-Nutzer, im April waren es weltweit bis zu 400 Millionen. Die Zahl der Nutzer wächst rasant.

Die russische Aufsichtsbehörde Roskomnadsor und der Inlandsgeheimsdienst FSB versuchten im Jahr 2018, den Messenger wegen der Weigerung zur Weitergabe sicherheitsrelevanter Daten zu blockieren. Die Sperre führte nicht zum gewünschten Ergebnis, im Gegenteil hatte sie zahlreiche Internetausfälle zur Folge. Im Juni 2020 hoben die Behörden die Sperre offiziell auf. In Russland wird Telegram seit 2017 sogar von Regierungsämtern auch für die interne Kommunikation verwendet.

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