Der französische Philosoph, Publizist, Medienmacher und Anteilseigner der Tageszeitung Liberatión Bernard-Henri Lévy (71) ist umtriebig. Er reist gerne um die Welt, vor allem in die Gebiete, in denen sich eine Revolution, ein Staatsstreich oder ein Krieg anbahnt. Er knüpft Kontakte zur Opposition oder zu Aufständischen, die gegen die "Tyrannei" kämpfen, tritt vor Menschenmengen auf, macht Kriegsreportagen, redet im Fernsehen und agiert im Hintergrund. Denn er verfügt nicht nur über Medienmacht, sondern auch über beste Kontakte zum französischen Establishment und hat einen direkten Draht zu den Präsidenten der Republik – Sarkozy, Hollande, Macron.
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Deswegen ließ auch sein Erscheinen in der litauischen Hauptstadt Vilnius sofort aufhorchen. Dort traf er auf die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der letzten Wahlen in Weißrussland. Letzte Woche twitterte Lévy stolz:
Heute in Vilnius mit Swetlana Tichanowskaja, der Muse der Revolution in Weißrussland und dem Gesicht der Opposition gegen den Tyrannen Lukaschenko. Wo wir sehen, wie die Sache der Frauen eine groteske und blutrünstige Diktatur erschüttern kann. Bericht und Porträt in Kürze.
Das versprochene Porträt erschien am Wochenende in Le Journal du Dimanche. Es wurde wie erwartet eine rührselige, blumige Story über das Erwachen einer aufstrebenden Nation, die unter dem Joch eines von Russland gesteuerten Tyrannen leidet. Der Philosoph fragte:
Wie kam es dazu, dass diese musenhafte Figur, diese Frau scheinbar ohne Ehrgeiz oder Charisma, die Revolte gegen den Präsidenten Lukaschenko verkörperte, dessen mörderische Brutalität und Verbindungen zum russischen "großen Bruder" ihn jahrzehntelang an der Macht hielten?
Die Nation, die Tichanowskaja verkörpert, sehnt sich nach europäischen Freiheiten und muss dringend unterstützt werden. Hier, in Vilnius, stehe das Schicksal Europas auf dem Spiel.
Dank Swetlana wird das belarussiche Volk seiner tödlichen Vergangenheit der Unterwerfung los. Von Vilnius aus betrachtet sieht diese Vergangenheit aus wie ein Gift, das nur darauf wartet, sich auszubreiten. Und Vilnius ist Stadt des Mutes an der Frontlinie gegen Putin", scheibt Lévy.
Eineinhalb Stunden sprach Lévy mit Tichanowskaja, die gut Englisch spricht. Er verrät ein vielsagendes Detail: Über die gesamte Zeit des Interviews war eine weitere Person anwesend – eine Mitarbeiterin der US-NGO Freedom House. Ab und zu tauschte Tichanowskaja fragende Blicke mit ihrer russischsprachigen Betreuerin aus. Einmal musste die Ex-Präsidentschaftskandidatin das Gespräch unterbrechen, um eine Videobotschaft für das EU-Parlament aufzuzeichnen. Heute sprach sie per Videoschaltung im EU-Parlament. Während der Konferenz forderten die EU-Abgeordneten Sanktionen gegen Russland, um "den Preis für das hybride Eingreifen" in Weißrussland zu erhöhen. Auch die Neuwahlen wurden gefordert und "Unterstützung für das weißrussische Volk" zugesichert.
In seinem Artikel beklagt Lévy, dass ihm die Einreise nach Minsk verwehrt wird. Nicht so in der Ukraine. Legendär war der Auftritt des Philosophen vor der Menge in Kiew am 9. Februar 2014, nur etwa eine Woche vor der blutigen Eskalation am 18. und 20. Februar. Damals sagte er:
Ich bin Europäer, aber heute bin ich Ukrainer. Ihr seid echte Europäer. (…) Und, ja, eure Stärke ist diese große Zivilisation, von der ihr ein Teil seid (…). Bevor Russland existierte, blühten die Ukraine und Kiew auf. In jedem Bürger auf dem Maidan gibt es mehr Geschichte und Kultur als in dem Angeber von Sotschi, dem Möchtegern-Tarzan, der eher einem Popeye, einem Papiertiger gleicht (...). Aus diesem Grund werdet ihr gewinnen. Aus diesem Grund werdet ihr früher oder später den Herrscher Putin und seinen Diener Janukowitsch besiegen. Slawa Ukraini!
Das "Revolutions"-Dossier des Philosophen ist lang. Bekannt ist seine Rolle im Libyen-Krieg im Jahr 2011, als er an den Verhandlungen mit den Aufständischen gegen Gaddafi teilnahm und später das militärische Eingreifen Frankreichs dort rechtfertigte. 2013 forderte Lévy im Artikel "Save Aleppo" die westlichen Staaten auf, in Syrien militärisch einzugreifen.
Aus russischer Sicht wäre auch seine engagierte Unterstützung der tschetschenischen Separatisten und des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili zu erwähnen. So empfahl Lévy dem Westen, den selbst ernannten "Präsidenten der Republik Itschkerien" – den Terroristen Aslan Maschadow – anzuerkennen. Während des Konflikts in Südossetien im August 2008 rief Lévy zu maximalem Druck auf Moskau auf, einschließlich militärischer Methoden. 1999 unterstützte Lévy die "Kosovo-Befreiungsarmee" UÇK und rechtfertigte das NATO-Bombardement Jugoslawiens.
Bernard-Henri Lévy ist nicht nur ein Vorbote von Farbrevolutionen. Er ist ein sehr spezifischer Ideologe, ein leidenschaftlicher Anhänger des militanten Liberalismus, des Ultraglobalismus und der Russophobie", sagt Pawel Feldman, stellvertretender Direktor des Instituts für strategische Studien und Prognosen in Moskau. "Und so kommt es, dass überall, wo dieser Mann auftauchte, hinterher Chaos herrschte – revolutionärer Terror, Blut."
Was könnte dann sein jetziges Auftauchen in Vilnius im August 2020 bedeuten? Diese Frage stellen sich viele in Minsk und Moskau. Laut Kirill Koktysch, dem Experten für Weißrussland bei der Moskauer Diplomatenschule MGIMO, sollte man diesen Besuch jedoch nicht überbewerten. "Er sollte immer auf der Bühne stehen, im Scheinwerferlicht, er ist ein Selbstdarsteller und Schauspieler." Es sei noch ungewiss, wer das gemeinsame Foto nötiger hat, Tichanowskaja oder Lévy.
Weniger als zwei Wochen nach der Maidan-Rede des französischen Philosophen im Februar 2014 kam der französische Außenminister nach Kiew, um ein Abkommen über Machttransfer zwischen dem Präsidenten Wiktor Janukowitsch und der Opposition auszuhandeln. Dieses Abkommen wurde nach wenigen Stunden von den Aufständischen gebrochen, Janukowitsch floh. Im Jahr 2014 befand sich die EU auf dem Zenit ihrer Macht, die EU-Osterweiterung war ein großes Thema in Berlin, Paris und Warschau.
Nun ist die Ukraine fest im EU-Einflussbereich, das Land gilt aber nach wie vor als Problemfall. Die Ukraine-Krise steht für ungelöste Konflikte, Krieg und Stagnation. Nur einen Tag nach dem Besuch in Vilnius sagte der französische Präsident Emmanuel Macron bei seinem Treffen mit Angela Merkel, dass die EU keine Wiederholung des ukrainischen Szenarios für Weißrussland wünsche. Sie wolle einen "demokratischen Übergang". Das Zureden des Philosophen scheint derzeit in Paris trotz seines ungebrochenen Pathos weniger Gehör zu finden, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war.
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