Der Streit um die Frage, ob Inseln zum Festlandsockel gehören und aufgrund dessen die Grenzen der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) erweitert werden können, geht zwischen den beiden historischen Feinden und Nachbarn in eine neue Runde. Griechenland sagt ganz klar Ja und sieht sich durch das Seerechtsübereinkommen von 1982 bestätigt. Die Türkei sagt ganz klar Nein, und hat das Abkommen zusammen mit den USA auch nie unterzeichnet.
Am Montag erreichte das Bohrschiff "Oruç Reis" in Begleitung von fünf Kriegsschiffen das Operationsgebiet zwischen Zypern und der griechischen Insel Kastellorizio, welche selbst nur zwei Kilometer vom türkischen Festland entfernt ist. In diesem Gebiet will die türkische Regierung Explorationsarbeiten bis zum 23. August durchführen, um die vermuteten enormen Gasvorkommen zu entdecken. In einem Tweet veröffentlichte das Verteidigungsministerium Bilder und schrieb, dass man die türkischen "Rechte und Interessen schützen" werde, die sich aus dem "Völkerrecht in unseren Seerechtsgebieten ergeben."
Griechenland fühlt sich hingegen von diesem Schritt provoziert. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis berief eiligst den nationalen Sicherheitsrat ein, um über die Entwicklung und mögliche Reaktionen zu sprechen. Anschließend erklärte das Außenministerium in Athen:
Griechenland wird keine Erpressung akzeptieren. Es wird seine Souveränität und souveränen Rechte verteidigen. Wir rufen die Türkei auf, unverzüglich mit den illegalen Handlungen aufzuhören, die den Frieden und die Sicherheit in der Region untergraben.
Staatsminister Giorgos Gerapetritis gab sich bei einem TV-Interview beim staatlichen Fernsehsender ERT kämpferisch und sagte, dass die griechische Marine einsatzbereit sei und wenn nötig, die Flotte in der fraglichen Region erhöht werden könne. Aber man suche "keine Spannungen", sagte der Minister weiter.
Tatsächlich zeigte die türkische Regierung Ende Juli erste Anzeichen einer Entspannungspolitik gegenüber dem Nachbarland, als die Regierung erklärte, dass es keine weiteren Explorationsarbeiten mehr im östlichen Mittelmeer durchführen werde. Doch das am 6. August unterzeichnete Abkommen zwischen Griechenland und Ägypten, mit welchem die Seegrenzen und AWZ vereinbart wurden, führte offensichtlich dazu, dass sich Ankara nicht mehr an die Absichtserklärung gebunden fühlt. Dabei hatte die Türkei im November vergangenen Jahres selbst ein ähnliches Abkommen mit der libyschen Regierung von Ministerpräsident Fajis as-Sarradsch geschlossen, das auf heftigen Protest der beiden erstgenannten Länder stieß.
Fatih Dönmez, der türkische Energieminister, beendete am Montag den Versuch einer konzilianten Sprachregelung. Ankara werde im Mittelmeer und Schwarzen Meer "ununterbrochen" mit Bemühungen fortfahren, um eine Energieunabhängigkeit zu erreichen, twitterte Dönmez.
83 Millionen stehen hinter dir, Oruç Reis.
Mit "83 Millionen" meinte der Energieminister die türkische Bevölkerung. Es soll das Bild übermittelt werden, dass das ganze Land hinter diesem Programm steht, was insbesondere bei einer realen Eskalation mit Griechenland eine Rolle spielen dürfte.
Çağatay Erciyes, ehemaliger türkischer Botschafter im Libanon und jetzt Generaldirektor im Außenministerium, goss derweil noch weiter Öl in das ohnehin schon angespannte Verhältnis. Auch er wandte sich über Twitter an die Öffentlichkeit und erklärte, dass das Bohrschiff seine Aktivitäten innerhalb des türkischen Festlandsockels durchführe. Griechenland mache aber "viel Wirbel" deswegen.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan meldete sich ebenfalls zu Wort und erklärte am Montag nach einer Kabinettssitzung, dass sich die Türkei nicht nur auf die unmittelbare Küstennähe mit den Explorationsarbeiten beschränken, sondern diese Aktivitäten ausweiten werde.
In Deutschland wurde diese Entwicklung "mit Besorgnis" zur Kenntnis genommen, wie der Sprecher des Auswärtigen Amtes bei der Bundespressekonferenz mitteilte. Es würde die Beziehungen zur EU "weiter belasten", ergänzte er.
Auch im transatlantischen Militärbündnis NATO sorgen die Spannungen zwischen den Mitgliedsstaaten für Kopfzerbrechen. Nebst Griechenland beschwerte sich zuletzt auch Frankreich wortgewaltig über mutmaßliche türkische Manöver vor der libyschen Küste, die eine Bedrohung für eine französische Fregatte dargestellt haben sollen. In dem nordafrikanischen Land verfolgen Paris und Ankara gegensätzliche geopolitische Interessen, die sich auf diese Weise äußern.
Nach einem Telefongespräch mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis rief NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beide Seiten dazu auf, "im Geiste der alliierten Solidarität und im Einklang mit dem Völkerrecht" ihre Differenzen zu lösen.
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