Der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung Dmitri Kosak, der für die Ukraine-Politik zuständig ist, bezeichnete die Verhandlungen über die friedliche Beilegung des Konflikts im Donbass als ineffektiv. Das schreibt das russische Wirtschaftsportal RBK unter Berufung auf mit den Verhandlungen vertraute Quellen.
Die Gespräche finden auf der Ebene der Berater der Staatschefs des Normandie-Formats unter Teilnahme der OSZE statt. Sollten die Verhandlungen Zwischenschritte in der politischen Regulierung bewirken, käme es zu einem Spitzentreffen der Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der Ukraine. Der letzte Gipfel fand im Dezember in Paris statt.
Zuvor veröffentlichte das ukrainische Internetportal strana.ua eine Kopie von Kosaks Brief, den er an den Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel Jan Hecker richtete, mit Kopien für Vertreter Frankreichs und der Ukraine. In dem Schreiben wurde insbesondere ein Dokument kritisiert, das während der Verhandlungen ausgearbeitet worden war. Es sind zwar keine Einzelheiten dazu bekannt, doch Kosak bezeichnet diese als belanglos und nicht entscheidend. "Es führt zu dem Gedanken, sinnlose Verhandlungen der Berater des N4 zu stoppen", heißt es in dem veröffentlichten Dokument.
Bei aller Verantwortung versichere ich Ihnen, dass ich nicht die Absicht habe, weiterhin an dieser endlos andauernden "Aufführung" mit einer freimütigen Imitation stürmischer Aktivität bei der Konfliktlösung teilzunehmen", heißt es in dem Brief.
Meinungen und Vorschläge anderer Teilnehmer der Verhandlungen werden ignoriert, so Kosak weiter. Er bezog sich auf ein russisches Projekt, das Vertreter Frankreichs und Deutschlands ohne jegliche Reaktion abgekanzelt hätten.
Kosak-Memorandum zu Moldawien
Kosak entschuldigte sich am Ende des Briefs für seine etwas "undiplomatische Art" und bat alle Seiten um eine fristgerechte Reaktion. Er gilt als erfahrener und erfolgreicher Diplomat und Unterhändler. Auf diesem Posten löste er den langjährigen Berater des russischen Präsidenten Wladislaw Surkow ab. Im Jahr 2003 arbeitete er ein sogenanntes "Kosak-Memorandum" aus, dem zufolge Moldawien eine Föderation mit der abtrünnigen Region Transnistrien bilden sollte. Ein jahrzehntelanger Konflikt und eine politische Pattsituation hätten damit gelöst werden können. Der damalige Staatschef Moldawiens nahm jedoch unmittelbar nach einer Intervention des US-Botschafters von dem Projekt Abstand.
Russland bleibt Teil der Verhandlungen
Eine den Verhandlungen nahestehende Quelle bestätigte RBK, dass Kosak Ende Juli tatsächlich einen solchen Brief geschickt hatte.
Er spricht über die Ineffizienz des Verhandlungsprozesses in Form von politischen Beratern, aber der Brief enthält keine Vorschläge für einen Rückzug Russlands aus den Verhandlungen. Im Gegenteil, Russland schlägt immer wieder eine Reihe konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz des Verhandlungsprozesses vor, um die Vereinbarungen von Minsk und die politische Beilegung des Konflikts in der Ostukraine umzusetzen", so die RBK-Quelle.
So schlug Kosak vor, die Zügel der Verhandlungen wieder in die Hände der Außenminister zu legen. Die Berater wie er sollten nur noch für die technische Umsetzung der Beschlüsse zuständig sein.
Dass Russland am Format weiterhin aktiv mitwirken will, bestätigte auch Kiew. Der Brief sei ein "feines diplomatisches Spiel", um die Initiative zu ergreifen, sagte der Leiter des Büros des ukrainischen Präsidenten Andrei Jermak ukrainischen Medien. Er ist Unterhändler der ukrainischen Seite und damit das Gegenüber Kosaks.
Es ist klar, dass es sinnlos ist, von einem Abbruch der Verhandlungen zu sprechen. Die Arbeit geht weiter", so Jermak.
"Absurdes Theater"
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur TASS Anfang Juli verglich Kosak die "vielen Stunden fruchtloser Verhandlungen" über die Beilegung des Konflikts im Donbass mit einem "absurden Theater". Damals sagte der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung, dass die Vertreter der Ukraine in den letzten Monaten Verhandlungen nur mit dem Ziel geführt hätten, "sie so weit wie möglich zu verzögern und sich auf nichts zu einigen".
Die Kritik Moskaus betreffe insbesondere die Verhandlungen der Dreiparteien-Kontaktgruppe, die Mitte Mai stattfanden. Bei diesen Gesprächen weigerten sich die Vertreter Kiews, einen direkten Dialog mit den Delegierten der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk zu führen, was den Vereinbarungen von Minsk widersprach, wie der russische Politiker und Diplomat Boris Gryslow bemerkte.
Als Ergebnis dieser Verhandlungen bestätigten beide Seiten lediglich, dass sie sich in den wichtigsten Punkten nicht einig sind. Die ukrainische Seite schloss die Möglichkeit aus, per Gesetz einen Sonderstatus für die umstrittenen Gebiete festzulegen, und forderte wiederholt, dass in der Region erst dann Wahlen abgehalten werden sollten, wenn Kiew die Kontrolle über den Grenzabschnitt wiedererlangt habe.
Ukraine: Stille Sabotage
Einem der Verhandlungsführer zufolge wird die Ukraine mit dem Kurswechsel versuchen, die Perspektivlosigkeit des Minsker Verhandlungsformats zu beweisen, um auf einem anderen Format zu bestehen. Eine Quelle von RBK im ukrainischen Parlament, die Präsident Wladimir Selenskij nahesteht, sprach ebenfalls darüber.
Es geht um die Frist, die wir uns selbst gesetzt haben und über die Selenskij gesprochen hat. Wenn sich bis zum Herbst nichts ändert, ist es offensichtlich, dass dieses Format nicht lebensfähig ist.
Das bislang letzte Treffen der Kontaktgruppe zum Donbass fand am 22. Juli statt. Dort konnten sich die Teilnehmer auf einen Waffenstillstand einigen und ein Sonderpaket verabschieden, das die Arbeit von Scharfschützen und Aufklärungs- und Sabotagegruppen sowie den Einsatz von Fluggeräten aller Art verbietet.
Der Waffenstillstand trat in der Nacht zum 27. Juli in Kraft, doch innerhalb weniger Stunden beschuldigten sich die Parteien erneut, das Abkommen gebrochen zu haben. Die Gefechte gehen weiter.
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