von Pierre Lévy
Der im Mai 2017 gewählte französische Präsident Emmanuel Macron sah sich gern als Jupiter, als Herr der Götter und des Universums. Etwas prosaischer gesagt, wollte er das installieren, was einige Leute unter anderen Sternen die "Vertikale der Macht" nennen.
Doch innerhalb der letzten drei Jahre geriet der Herr des Élysée-Palastes in starke Stürme. Sein Handeln und seine Haltung haben bei vielen Bürgern Feindseligkeit, ja gar Abscheu hervorgerufen – was er selbst in einem langen Fernsehinterview am 14. Juli, dem Nationalfeiertag Frankreichs, einräumte.
Seine doppelte Botschaft lautete:
Ich bleibe auf Kurs, aber ich will versuchen, mit einer neuen verständnisvolleren und sanfteren Methode das Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen, und warum nicht auch ihre Liebe.
Hier versucht sich also Jupiter nun als Amor. Die Aufgabe dürfte sich jedoch schwierig gestalten, und dies umso mehr, da der Horizont seiner Amtszeit mit etwa 600 Tagen nicht mehr weit entfernt ist.
Die vor Millionen von Fernsehzuschauern versuchte Charmeoffensive rief eine beeindruckende Anzahl von Themen hervor – von der Epidemie bis zur Arbeitslosigkeit, von der Industrie bis zur Umwelt, von der jüngsten Regierungsumbildung bis zum Feminismus.
Der bemerkenswerteste Punkt war jedoch, dass er kaum über Europa sprach – hatte er doch sein Amt zum Klang der Hymne der Europäischen Union angetreten und versprochen, sie "neu zu begründen", insbesondere in seinem feierlichen Plädoyer, das er am 7. September 2017 auf dem Hügel der Pnyx gegenüber der Akropolis in Athen hielt.
Zudem war am nächsten Tag, dem 15. Juli, die Regierungserklärung des neuen Premierministers Jean Castex, die gemeinhin als Vorstellung des Regierungsprogramms für die nächsten zwanzig Monate gilt, zu diesem zentralen Thema nicht aussagekräftiger.
Im Interview vom 14. Juli hat Emmanuel Macron nur einige Worte zur EU verloren: Auf die Frage, wie die zusätzlichen 100 Milliarden Euro, die der Präsident für den Wirtschaftsaufschwung bereitstellen will, finanziert werden sollen, antwortete er im Wesentlichen: "Europa wird zahlen." Dabei klang er beinahe so wie der ungarische Regierungschef Viktor Orbán ...
Wörtlich hieß es:
Und wie werde ich diese Investitionen finanzieren? Zunächst einmal, weil wir auf europäischer Ebene um europäische Finanzmittel kämpfen, weil wir in dieser Krise einen der größten europäischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte erzielt haben: das deutsch-französische Abkommen vom 18. Mai.
Der Präsident bezog sich damit in Wirklichkeit auf das Konjunkturprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro, das am 27. Mai von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurde. Zwei Drittel dieser Summe sollen in Form von Zuschüssen verteilt werden, vor allem an die vom Coronavirus und dem wirtschaftlichen Tsunami am stärksten betroffenen Mitgliedsstaaten, das restliche Drittel in Form von Darlehen.
Brüssel hat vorgesehen, dass Frankreich 39 Milliarden Euro erhält. Dieser Plan beruht auf dem vom französischen Staatschef erwähnten deutsch-französischen Vorschlag, der am 18. Mai veröffentlicht wurde. Er beinhaltete insbesondere ein gemeinsames Darlehen, das die Kommission im Namen der Mitgliedsstaaten auf den Finanzmärkten aufnehmen sollte.
Der Herr des Élysée-Palastes hat dabei jedoch vergessen, zwei winzige Details zu erwähnen. Erstens muss der Plan der Kommission noch von den 27 Mitgliedsstaaten einstimmig angenommen werden, was bis heute bei Weitem noch nicht sicher ist. Die Sitzung des Europäischen Rates vom 19. Juni ist daran gescheitert und hat die Widersprüche und Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern noch einmal deutlich werden lassen.
Es ist zwar wahrscheinlich, dass letztlich ein Kompromiss zustande kommt, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass er auf der Sitzung des Europäischen Rates am 17. und 18. Juli gefunden wird, der als "fundamental" für die Europäische Union präsentiert wird (was das Schweigen des Präsidenten zu Europa umso erstaunlicher macht). Eine Einigung auf diesem Gipfel ist möglich, aber nicht sicher. Ein Scheitern wäre diesmal sowohl für Angela Merkel als auch für Emmanuel Macron eine Ohrfeige.
Das andere "Detail", das vom Staatsoberhaupt vergessen wurde, ist sogar noch wichtiger. Unter der Annahme, dass der von der EU-27 gefundene Kompromiss dem Vorschlag der Kommission nahekommt, würde Paris 39 Milliarden erhalten. Als Mitkreditnehmer auf den Finanzmärkten müsste Frankreich dann aber einen Teil der 750 Milliarden zurückzahlen. Es gilt der Grundsatz, dass jedes Land nicht der Höhe der empfangenen Beträge entsprechend zurückzahlt, sondern dem nationalen Bruttoinlandsprodukt (BIP).
Mit anderen Worten, die Rückzahlung sollte auf einem Schlüssel beruhen, der den Beiträgen zum Gemeinschaftshaushalt nahekommt. Frankreich ist nach Deutschland der zweitgrößte "Nettozahler" der EU, das heißt, es zahlt mehr in den gemeinsamen Topf, als es erhält. Das Land trägt elf Prozent zum EU-Haushalt bei, könnte also mehr als 82 Milliarden zurückzahlen müssen – die ab 2021 fälligen Zinsen nicht eingerechnet. (Berlin könnte seinerseits 106 Milliarden zurückzahlen, für 29 Milliarden, die es über Brüssel erhalten würde.)
Das Einzige, was Emmanuel Macron bezüglich der EU gesagt hat, war also, dass die EU zahlen wird. Versäumt hat er jedoch zu sagen, dass Frankreich das Doppelte der erhaltenen Beträge zurückerstatten muss.
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