Die vergessene Kolonialmacht: Niederlande schicken Soldaten zur Aufstandsbekämpfung in die Karibik

Ist die Rede von aktuellen Kolonialmächten, denken viele an Frankreich oder Großbritannien. Die wenigsten wissen aber, dass auch die Niederlande noch immer Kolonien in Übersee besitzen: etwa die zum niederländischen Königreich gehörende und derzeit von Protesten erschütterte Karibikinsel Curaçao.

Seit vergangener Woche befindet sich die niederländische Kolonie Curaçao in Aufruhr. Die Unruhen begannen, als Angestellten des bekannten Entsorgungsbetriebs "Selikor" am 29. Juni überraschend mitgeteilt wurde, dass ihr Lohn um über zwölf Prozent gekürzt und ein Teil der Belegschaft entlassen wird.

Einsatz niederländischer Marineinfanteristen gegen die Proteste

Die erzürnten Mitarbeiter zogen daraufhin spontan zum Regierungssitz Fort Amsterdam. Arbeiter des Stromkonzerns Aqualectra sowie der Erdölraffinerie Isla, die ebenfalls von Massenentlassungen bedroht sind, schlossen sich dem Protest an. Die wütende Menge stürmte in Folge den Regierungssitz und forderte den Rücktritt des Premierministers Eugene Rhugge­naath. Im weiteren Verlauf der Proteste kam es schließlich auch zu Plünderungen und Brandschatzungen.

Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und gaben Warnschüsse mit scharfer Munition ab. Die Regierung verhängte daraufhin eine nächtliche Ausgangssperre und forderte den Einsatz von niederländischen Soldaten "zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung" an. 

Mehrere Dutzend Personen wurden bisher verhaftet, darunter auch Lon Mutuel, ein bekannter ehemaliger Studentenführer und politischer Aktivist. Das Gericht wirft ihm vor, er habe zu denjenigen gehört, die am Mittwoch das Tor zum Regierungssitz aufbrachen. Außerdem habe er die Menge zum Aufruhr angestachelt. Mutuel gilt als wichtiger Brückenbauer zwischen demonstrierenden Jugendlichen und Arbeitern. 

Curaçao verfügt seit 2010 zwar über gewisse Autonomierechte, untersteht jedoch in Verteidigungsfragen noch immer zu 100 Prozent Den Haag. Rund 800 niederländische Marineinfanteristen sind permanent auf der Karibikinsel stationiert. Auch über die Küstenwache hat das niederländische Königreich die Befehlsgewalt. Der Einsatz der niederländischen Marinesoldaten gilt als höchst umstritten. 

Hälfte der Einwohner von Lebensmittelspenden abhängig

Die ökonomische Situation auf Curaçao gilt als äußert angespannt, da der Tourismus – eine der Haupteinnahmequellen der Insel – aufgrund der Reisebeschränkungen im Zuge der Corona-Krise seit dem 13. März vollständig zum Erliegen gekommen ist. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet dieses Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 23 Prozent. Mehrere Zehntausend Menschen sind arbeitslos geworden, die Hälfte der rund 160.000 Einwohner ist von Lebensmittelspenden abhängig.

Frensley Sillé, Vorsitzender der Gewerkschaft BTG, erklärt die Lohnverzichtsforderungen von 12,5 Prozent für die Müllwerker und auch Arbeiter aus anderen Bereichen als nicht gerechtfertigt. 

Wer auf der Insel das Sagen hat, daran ließ auch Premierminister Rhuggenaath keinen Zweifel. Gegenüber dem Caribisch Netwerk erklärte er:

Die Sparmaßnahmen sind uns durch die Niederlande auferlegt worden. Wir müssen diese umsetzen und dafür sorgen, dass es auf der Insel ruhig bleibt.