von Marinko Učur, Banja Luka
"Dort, wo die Logik endet, beginnt Bosnien": So beschrieb der serbische Nobelpreisträger Ivo Andrić vor langer Zeit die Komplexität der interethnischen Beziehungen in Bosnien und Herzegowina, das Teil des früheren Jugoslawiens war und seit 1992 ein aus zwei Entitäten – der Föderation Bosnien und Herzegowina sowie der Republika Srpska – zusammengesetzter unabhängiger Staat geworden ist.
Die aktuelle Lage im Kampf gegen COVID-19 ließ die alten politischen Missverständnisse in Bosnien und Herzegowina wieder aufkommen. In der ethnisch geteilten Stadt Mostar, die von den bosnischen Kroaten als informelle Hauptstadt angesehen wird, war die COVID-19-Pandemie zeitweise sehr ausgeprägt. Das dortige Krankenhaus musste kurzfristig mit einer großen Anzahl an Patienten zurechtkommen. Die eingetroffene Hilfe reichte nicht aus, um den gewaltigen humanitären Anforderungen gerecht zu werden. Daher wurde ein Aufruf an all jene gerichtet, die bereit sind zu helfen. Die materielle und finanzielle Unterstützung für die Einrichtung mit mehr als 2.300 Mitarbeitern war unzureichend und kam nur schrittweise an, obwohl viele Unternehmen und Einzelpersonen mit beträchtlicher finanzieller Unterstützung zu Hilfe eilten.
Die Möglichkeit, dass sich auch Vertreter der russischen Armee, die bereits auf einer humanitären Mission zur Desinfektion in der Region unterwegs waren, dort an Hilfsmaßnahmen beteiligen, schien ein glücklicher Umstand zu sein. Den russischen Militärexperten wurde jedoch nicht erlaubt, in die Stadt zu kommen und das Hauptkrankenhaus zu desinfizieren, was die Kroaten den Bosniaken vorwerfen.
Eine offizielle Einladung an die russischen Soldaten sprach der Vorsitzende der Völkerkammer Bosnien-Herzegowinas Dragan Čović aus. Seine Absicht war es, die Präsenz russischer Desinfektionsexperten im benachbarten Serbien, die davor ohne Einschränkungen alle Krankenhäuser in der Republika Srpska desinfizierten, ebenfalls in Anspruch zu nehmen.
Was als Nächstes geschah, erklärt RT Deutsch der Vorsitzender der Kroatischen Bauernpartei (HSS) Mario Karamatić, der auch einer der Anführer der Kroaten in Bosnien und Herzegowina ist:
Muslimische Politiker erlaubten russischen medizinischen Experten nicht einmal, in das Land einzureisen, ungeachtet der Tatsache, dass sie auf Einladung des serbischen Mitglieds des Staatspräsidiums Bosnien und Herzegowinas 20 Tage zuvor in Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska gewesen waren, Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser in der Republika Srpska desinfizierten und danach das Land ohne Probleme verließen.
Die Rechtfertigung muslimischer Politiker für diesen internationalen Skandal ist, dass die Streitkräfte Bosnien und Herzegowinas eine Desinfektionseinheit haben. Natürlich hat diese Einheit das Krankenhaus in Mostar nie desinfiziert.
Eine solche offene Demonstration dieser Absicht gegenüber den Kroaten beruht auf der Tatsache, dass wir das kleinste Volk in Bosnien und Herzegowina sind, und der Plan der Muslime ist es, erst uns fertigzumachen, um danach mit den Serben abzurechnen. Was mich am traurigsten macht, ist, dass sie bei dieser Politik die Unterstützung der Vertreter eines Teils der ausländischen Botschaften haben.
Der stellvertretende Verteidigungsminister Bosnien und Herzegowinas Mijo Krešić ist ebenfalls der Ansicht, man hätte den russischen Experten erlauben sollen, nach Mostar zu kommen, um das Krankenhaus zu desinfizieren. Weder das Verteidigungsministerium noch das Staatspräsidium Bosnien und Herzegowinas seien befugt, sich damit zu befassen, da es sich um eine humanitäre Mission handele.
Einige weitere bizarre Missverständnisse sind in solch schwierigen Zeiten des Kampfes gegen die Pandemie zu beobachten, bei denen Emotionen die Vernunft überwinden. Die Muslime standen nämlich der Hilfe, die dem Krankenhaus in Mostar aus Kroatien geliefert wurde, sowie dem Kontingent der medizinischer Hilfe, die der Republika Srpska von Russland und Ungarn geleistet wurde, nicht eben wohlwollend gegenüber.
In beiden Fällen sandten muslimische Politiker den Regierungen von Ungarn und Kroatien Protestnoten zu, in denen sie ihren Ärger zum Ausdruck brachten, "weil Bosnien und Herzegowina ein Land ist, in dem drei Völker leben, und es nicht angebracht ist, Hilfe nur einer Entität, einem Krankenhaus oder einer Person zu leisten".
So befanden sich russische Experten gegen ihren Willen im Epizentrum ungelöster politischer und nationaler Beziehungen wieder, in diesem Fall jenen zwischen Kroaten und Muslimen. Bürgern, die von der Desinfektion des Krankenhauses hätten profitieren können, wurde diese Unterstützung verwehrt, die von der russischen Armee angeboten wurde, um allen Balkanländern erheblich zu helfen.
Die Hilfe wurde von Serbien, aber auch von der Republika Srpska, die von den Behörden in Sarajevo nicht einmal eine Sondergenehmigung für die Ankunft der Russen einzuholen versuchte, dankbar angenommen. Die spezielle Ausrüstung und Fahrzeuge wurden dabei mit Transportflugzeugen geliefert, die direkt am Flughafen von Banja Luka in der Republika Srpska landeten. Die Regierungsvertreter der Republika Srpska drückten ihren großen Dank aus, und beim Empfang der russischen Experten am Flughafen war die gesamte politische Spitze der Republika Srpska präsent.
Diejenigen, die sich gegen die russische Hilfsmission aussprechen, konnten kein Belege dafür vorlegen, dass sie andere Ziele verfolgt als humanitäre. Dazu zählt auch das Mitglied des Staatspräsidiums Bosnien und Herzegowinas Željko Komšić. Er ist ein energischer Befürworter des NATO-Beitritts Bosnien und Herzegowinas, gegen den sich die Republika Srpska stellt, und er versteht Russland als Großmacht, die die Republika Srpska in ihrem Feldzug gegen die NATO unterstützt:
Angesichts der Tatsache, dass die Präsenz dieser Einheit der russischen Armee auf dem Territorium Bosnien und Herzegowinas völlig unnötig ist, dass diese Einheit aus ganz anderen als den öffentlich genannten Gründen nach Bosnien und Herzegowina berufen wurde und dass es sich um eine Art spezielle psychologische Aktion handelt, denke ich, dass sie weder ankommen noch jemals wieder zurückkommen sollten.
Komšić ist insbesondere unklar, warum dieser Antrag an die Russen aus Banja Luka und Mostar kam, also aus jenen Städten, die von Serben bzw. Kroaten dominiert werden.
Die bosnisch-herzegowinischen Parlamentswahlen sind für den 4. Oktober dieses Jahres angesetzt. Es ist bereits klar, dass der bevorstehende Wahlkampf reich an alten, aber sicherlich auch an neuen Streitigkeiten sein wird. Der Kampf gegen COVID-19 wird ungeachtet seines Verlaufs Anlass für gegenseitige Anschuldigungen und neue Missverständnisse sein.
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