Im österreichischen Parlament kam es am Mittwoch zu einer kontroversen Debatte über die Corona-Krise und die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Österreich war einer der ersten europäischen Staaten, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben rigide einschränkten – und damit auch Vorbild für die deutsche Bundesregierung. Mittlerweile wurden die ersten Lockerungen dieser Maßnahmen verkündet.
Der 33-jährige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verwies in seiner Rede vor dem Nationalrat auf die rückläufigen Infektionszahlen im Land und wertete diese als Bestätigung für seine Politik. Sein Dank an die Österreicher durfte dabei als verdecktes Eigenlob verstanden werden:
Österreich ist bisher besser durch diese Krise gekommen als andere Länder. Wir haben es geschafft, den Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Wir hatten nicht so eine Situation wie in einem unserer Nachbarländer, dass Ärzte darüber entscheiden müssen, wer leben darf und wer sterben muss. Wir haben viele Leben gerettet, und der Grund dafür sind Sie alle, liebe Österreicherinnen und Österreicher. Ich möchte mich daher zu Beginn gleich noch einmal dafür bedanken, dass alle in den letzten Wochen so diszipliniert reagiert haben und dadurch in Österreich Leben gerettet worden sind.
Kurz erklärte, man befinde sich nun in Phase zwei, dem Wiederhochfahren des Landes, und verwendete dafür den Begriff einer "neuen Normalität". Eine Rückkehr zum früher Selbstverständlichen werde es erst nach der Entwicklung eines Impfstoffes geben können.
Auch der grüne Koalitionspartner lobte in Person von Vizekanzler Werner Kogler das Handeln der Regierung. Er sprach von einem "gemeinsamen Erfolg" und bedankte sich "bei all jenen, die hier in Österreich leben und bis jetzt so gut mitgemacht haben". Der schnell eingetretene Erfolg ermögliche nun, Pläne für das Wiederhochfahren des gesellschaftlichen Lebens zu erstellen.
Die sozialdemokratische Oppositionsführerin Pamela Rendi-Wagner stellte den Diskurs vom erfolgreichen Regierungshandeln nicht grundsätzlich in Frage und lobte ebenfalls die Disziplin der Österreicher. Allerdings betonte sie stärker die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Stillstands und mahnte, dass zur Bewältigung der Krise Onlinekonzerne, Millionäre und Finanzmärkte solidarisch sein müssten. Die Krise habe gezeigt, wer die wahren Leistungsträger im Land seien.
Einen gänzlich anderen Ton in seiner Rede schlug Herbert Kickl an, der Fraktionsobmann der FPÖ. Auch Kickl drückte zunächst seine Freude über die rückgängigen Zahlen bei Infektionen und Todesfällen aus. Dann aber ging er dazu über, Kanzler Kurz scharf zu kritisieren. Dass das Krisenmanagement der Regierung eine Katastrophe verhindert habe, sei eine Geschichte, die so nicht aufgehe. Die Zahlen seien schon vor Verhängung der restriktiven Maßnahmen rückgängig gewesen, in Österreich wie auch in Deutschland.
Kickl verwies wiederholt auf Schweden, wo sich ganz ohne Schließung von Restaurants, Geschäften, Kindergärten und Schulen ebenfalls eine positive Tendenz zeige. Der Kanzler müsse zugeben, dass sein Kurs nicht alternativlos gewesen sei:
Es müsste doch nach Ihrer Theorie, Herr Bundeskanzler, bereits mindestens 100.000 Tote in Schweden geben. Es müsste doch explosionsartige Entwicklungen, was die Infektionen betrifft, geben. Sie haben doch davon gesprochen, als Sie Anfang März von der Ruhe vor dem Sturm geredet haben. Sie haben doch angekündigt, dass das gesamte Gesundheitssystem und die Intensivmedizin mit Bomben und Granaten zusammenbrechen werden, wenn man nicht Ihrem Weg folgt. Sie haben doch gesagt, dass es ein Massensterben geben wird, das alles andere in den Schatten stellen wird, wenn es nicht so geht, wie Sie es als die einzige Möglichkeit dargestellt haben.
Der frühere Innenminister warf Kurz vor, bewusst mit Horrorszenarien gearbeitet und deren Verbreitung durch die Medien befördert zu haben:
Sie haben die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Wir wissen ja, dass es die Stoßtrupps der ÖVP im Medienbereich gewesen sind, die bei einzelnen Medien interveniert haben, damit ja möglichst viele Bilder von Särgen in der Berichterstattung gezeigt werden. Das heißt, Sie haben die Angst der Bevölkerung nicht nur in Kauf genommen, sondern Sie haben mit ihr kalkuliert – und das ist ein schwerwiegender Vorwurf, den ich Ihnen mache.
Als tatsächliche Folgen der Regierungspolitik wertete Kickl die massiven sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Tausende von Existenzen seien über Nacht zerstört, Unternehmer zu Bittstellern gemacht worden. Der FPÖ-Mann beklagte auch das Entstehen eines neuen Denunziantentums im Land. Der vom Bundeskanzler indirekt angekündigten verpflichtenden Impfung werde sich seine Partei widersetzen.
Herbert Kickl war bis Mai 2019 Innenminister der schwarz-blauen Bundesregierung, bis er von Kurz im Zuge der sogenannten Ibiza-Affäre entlassen wurde. Auf diese gemeinsame Vergangenheit spielte Kickl offenbar an, als er erklärte, dem Bundeskanzler aufgrund gemachter Erfahrungen kaum noch etwas zu glauben. Der FPÖ-Klubobmann ging den Kanzler auch persönlich an, als dieser sich wieder einmal seinem Mobiltelefon widmete:
Ich weiß nicht, was so wichtig ist: Nehmen Sie an einem Preisausschreiben teil, oder was bringt Sie dauernd dazu, auf Ihr Handy zu schauen, anstatt hier zuzuhören? Herr Bundeskanzler, das ist auch eine Form des Respekts!
Kickl erhielt nach seiner Rede vehementen Applaus von seinen Fraktionskollegen, blieb mit seiner Fundamentalkritik an der Regierung aber allein. Redner der ebenfalls oppositionellen Neos und SPÖ kritisierten die Regierung Kurz zwar zum Teil scharf für ihre Handhabung der entstandenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme, ihren Umgang mit der Opposition und die fehlende Transparenz, stellten deren Kurs in der Corona-Krise aber nicht grundsätzlich in Frage.
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