von Wladislaw Sankin
Lutz Güllner leitet die strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), ihm untersteht unter anderem die East StratCom Task Force, deren Aufgabe es ist, "russische Desinformationskampagnen" aufzudecken. Nachdem der EAD einen Bericht über die Gefahr russischer Desinformationskampagnen speziell während der Corona-Krise publik gemacht hat, ist Güllner ein gefragter Mann. So lud ihn die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am Freitag zur Webkonferenz "Die Lüge geht viral: Russische Desinformationskampagnen in der Coronakrise" ein, an der auch der FDP-Abgeordnete Thomas Hacker und die Russland-Expertin Dr. Susanne Spahn teilnahmen.
Hacker erlangte einige Bekanntheit, als er in der Bild forderte, RT Deutsch vom Schutz der Medienfreiheit auszunehmen. "Russische Staatspropaganda ist nicht Teil der Meinungsfreiheit", sagte er. Spahn ist Medienexpertin mit dem Spezialgebiet "Russische Propaganda" und Autorin einer Studie über RT Deutsch.
"Wir sind akteursneutral"
Bei seinem Web-Aufritt erklärte Güllner ausführlich Sinn und Zweck seiner Arbeit im Hinblick auf die Bekämpfung russischer Desinformationskampagnen. Deren Existenz sieht er durch die Tätigkeit des Forscherteams der East StratCom Task Force als erwiesen an. Er schränkte aber ein, dass es sich bei den Verbreitern der Desinformation nicht nur um "den Kreml" oder "russische Akteure" handele, sondern auch um die zahlreichen Medien, die im Sinne eines "Pro-Kreml-Narrativs" berichteten.
Wir sind 'akteursneutral'. Wer auch immer diese Aktivitäten unterstützt, es ist egal, ob das Russland oder ein anderes Land oder ein anderer Akteur ist. In dem Fall haben wir aber die Evidenz, wir haben die Beweislage, die auf Russland abzielt. Aber das hat nichts mit 'Anti-Russland' zu tun, deswegen sprechen wir weniger über Russland und über russische Medien, sondern über 'Pro-Kreml-Medien'", sagte er
Diese Akteure erzeugten "Scheindebatten" und verhinderten eine demokratische Meinungsbildung. Deswegen sei es wichtig, sie aufzudecken. "Mit Desinformationskampagnen wollen ausländische staatliche Akteure gesellschaftliche Debatten beeinflussen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in öffentliche Einrichtungen und Medien schwächen oder demokratische Verfahren wie Wahlen destabilisieren." So hat die EU-Kommission den Begriff "Desinformation" im Dezember 2018 im Vorfeld der EU-Wahlen definiert.
Dies wird "Pro-Kreml-Medien" nun wortgleich erneut unterstellt, nur im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie. Güllner benannte zwei Narrative, die seiner Ansicht nach bewusst verbreitet werden. Zum einen sei dies die Erzählung, dass das Coronavirus von Menschenhand erzeugt worden sei. Der anderen Erzählung nach sei der "Westen" mit der Corona-Bekämpfung überfordert, während Russland und andere autoritäre Staaten darin erfolgreich seien.
Sein Team beschränkt sich aber nicht nur auf "prorussische Narrative". Als Urheber der Falschnachrichten nannte er auch "Netzwerke aus China" und Daesh (Bezeichnung für den "Islamischen Staat", IS), die vor allem auf Plattformen wie Twitter und Facebook aktiv seien:
Sie müssen die Liste angucken von ihren Aktivitäten, die Twitter, Facebook veröffentlichen, wo Netzwerke aufgedeckt und zum Teil noch abgeschaltet werden. Das sind Netzwerke, die z.B. in China beheimatet sind, das sind im Übrigen auch die von den terroristischen Organisationen wie Daesh", sagte Güllner.
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Virus, Russland, Terror
Dieser Passus erinnerte allerdings an eine Rede des US-Präsidenten Barack Obama, die er in der 69. UN-Vollversammlung im September 2014 gehalten hat. In dieser Rede, die viele deutschen Medien "historisch" nannten, hat der US-Präsident die Virus-Krankheit Ebola, Russland und die IS-Terroristen als größte Gefahr für die Welt in einem Atemzug genannt.
Das Ebolavirus legt das Gesundheitswesen in Westafrika lahm und droht sich rasant auch in anderen Regionen zu verbreiten. Die Aggression Russlands in Europa erinnert an die Tage, als große Nationen mit ihren territorialen Ambitionen kleine Nationen bedroht hatten. Und die Grausamkeit der Terroristen in Syrien und im Irak zwingt uns, ins Herz des Dunkels zu blicken", sagte Obama.
Damals hat die Einreihung Russlands auf einer Liste mit einem Virus und Terroristen für heftige Kritik und Empörung in Russland gesorgt.
"Wir sind keine Gedankenpolizei"
Den Schlüssel zum Erfolg im Kampf gegen "prorussische Desinformation" sieht der EU-Strategiechef Güllner in der "Schärfung des Bewusstseins" für Desinformation. "Wir bringen Licht ins Dunkel", sagte er. Er sagte, dass der EAD aktiv an der Schaffung eines gesamteuropäischen Systems der Desinformationsbekämpfung arbeite und dabei schon einige Erfolge erzielt habe. Dies sei nicht nur eine staatliche Aufgabe, vor allem sei die Verknüpfung von NGOs mit internationalen Forscherteams wichtig. Feuer könne man nicht mit Feuer bekämpfen, man müsse viel intelligenter vorgehen, der Ansatz sei "vielschichtig".
Wir wollen, das diese Desinformation aufhört. Wir wollen damit sagen: Wir sehen es, wir wissen es, und wir werden so was abschalten oder zumindest den Boden unter den Füßen wegziehen, da sind wir dabei.
Als konkrete Maßnahmen zur Unterbindung der Desinformation nannte er die "Stärkung unserer Systeme, unserer Netzwerke", damit diese "mit solchen Dingen umgehen können – sprich, die Betreiber der Plattformen mit in die Pflicht nehmen".
Güllner beteuerte jedoch, seine East StratCom Task Force sei keine Gedankenpolizei und kein Geheimdienst, der gegen einzelne Meinungen kämpfe. Er räumte aber ein, dass die Unterscheidung zwischen einer Meinung und gezielter Desinformation schwierig sei.
RT Deutsch kritisierte bereits sowohl den theoretischen Ansatz als auch die Methodik der Desinformationsbekämpfung, die die East StratCom Task Force betreibt. Ganz abgesehen davon, dass bei diesem Ansatz die eigene Unfehlbarkeit und vor allem die politische Überzeugung quasi die erste Voraussetzung ist, kommt es immer wieder zu peinlichen Fehlern bei der Aufdeckung sogenannter Desinformation. So werden auch Satire oder ironisch gemeinte Beiträge als "Desinformation" eingestuft.
Betrachtet man die von der East StratCom Task Force aufgegriffenen Medienberichte, so kann man wenig Zweifel daran haben, dass es sich tatsächlich um teils absurde Falschmeldungen handelt. Berücksichtigt man aber weiterhin die 'Richtigstellungen' von europäischer Seite, so wird deutlich, dass diese ebenfalls kritisch zu betrachten sind", schrieb das Portal imi-online in einer Analyse im Oktober 2017.
Dabei konnten die EU-Faktenchecker nur wenige Fälle von "Desinformation" feststellen, die die nicht-russischsprachige Bevölkerung in den EU-Staaten ansprechen soll.
Die East StratCom Task Force wird immer größer – mit ihr auch die Gefahr?
Viel eher deutet die aktuelle EAD-Medienkampagne darauf hin, dass die EU-Behörde eine Krisensituation, die erhöhte Medienaufmerksamkeit erfordert, dazu nutzt, die eigene Bedeutung zu unterstreichen – wie schon in der Vergangenheit geschehen. So wurde zunächst der bislang nicht aufgeklärte Vorfall im englischen Salisbury im März 2018, der von der EU-Politik zum "russischen Chemiewaffenanschlag" erklärt wurde, zum "Ausbau der Kapazitäten zur Abwehr hybrider Bedrohungen in der strategischen Kommunikation" genutzt. Das belegt im Nachhinein der 15-seitige "Aktionsplan gegen Desinformation", den die EU-Kommission am 15. Dezember 2018 an das EU-Parlament, den Europarat und andere überstaatliche Gremien gerichtet hat.
Die medial breitgetretene Befürchtung einer russischen Desinformationskampagne im Vorfeld der EU-Wahlen im Mai 2019 hat direkt zur Aufstockung des East StratCom Task Force auf aktuell 14 Mitarbeiter und zur Erhöhung des Etats auf drei Millionen Euro geführt. Die russische "Desinformationskampagne" war, wie später sogar von Geheimdiensten zugegeben, ausgeblieben. In Erinnerung blieb aber eine massive Medienkampagne gegen eine (befürchtete) russische Manipulation.
Den Zusammenhang zwischen den EU-Wahlen und der Stärkung seines StratCom-Teams hat auch Güllner im Web-Gespräch am Donnerstag zugegeben. Er sagte natürlich nicht, dass die "Desinformation prorussischer Akteure" damals ausgeblieben war. Für ihn existiert sie etwa wie ein Naturphänomen und ist der eigentliche Grund für die Gründung der East StratCom Task Force im Jahr 2015. Eben darin besteht die Kunst der strategischen Kommunikation – die Existenz und das Überleben seiner Einrichtung (EU-Kommission, EAD, East Stratcom Task Force) durch Unterstreichung einer wahrgenommenen Gefahr durch geschickte Kommunikation in der Öffentlichkeit zu begründen.
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