Besonders gravierend sind die Probleme ausgerechnet im Großraum Madrid – neben dem katalanischen Barcelona eigentlich die wohlhabendste Region Spaniens. Die Regierung unter Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso gibt pro Einwohner nur ganz wenig mehr Geld aus als Andalusien im armen Süden Spaniens.
Experten sind sicher, dass die Probleme im Gesundheitssystem vor allem von der konservativen Partido Popular (PP) verursacht wurden, die die Region seit den 1990er-Jahren durchgehend regiert. Javier Padilla, Hausarzt in einem Gesundheitszentrum in Fuencarral im Norden Madrids und Autor eines Buchs über die Gesundheitspolitik in Spanien (Titel: "Wen werden wir sterben lassen?"), sagte der österreichischen Zeitung Standard:
In den letzten 20 Jahren gibt die konservative Regierung immer weniger für das öffentliche System aus und privatisiert, wo es nur geht.
Und Carlos Morantes, Arzt in der Notaufnahme im Hospital del Henares in Coslada, einem Vorort von Madrid, berichtete dem Blatt: "Es fehlt an allen Ecken und Enden. Wir haben zu wenige Masken, zu wenig Schutzausrüstung." Die Notaufnahmen seien überfüllt, die Intensivstationen ebenso. Es fehlten dringend benötigte Beatmungsgeräte und Betten. Für Notfälle wie beispielsweise Herzinfarkte sei in seiner Klinik nur noch genau ein Bett reserviert.
In ganz Spanien wurden fast 29 Milliarden Euro eingespart und 30.000 Mitarbeiter entlassen
Die Sparpolitik infolge der Finanzkrise 2008 hatte für das Gesundheitssystem drastische Folgen. In Madrid wurden seit 2008 rund 4.000 Stellen aller Art abgebaut. In ganz Spanien wurden fast 29 Milliarden Euro eingespart und 30.000 Mitarbeiter entlassen.
Die Zahl der Betten ging laut Bericht in der Hauptstadt um rund 3.000 zurück, während die Einwohner der Region um 500.000 zunahmen. Heute gibt es je 100.000 Einwohner nur noch 9,5 Betten in Intensivstationen. In Deutschland sind es 34. Im gesamten Königreich wurden seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 gut zehn Prozent der Krankenhausbetten eingespart. Das Land kommt im Durchschnitt noch auf knapp 300 Betten pro 100.000 Einwohner – in Deutschland gibt es 800 Betten, wie von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen. Fast 60 der 300 spanischen Betten befinden sich in privat geführten Hospitälern.
Neben den 33 öffentlichen Krankenhäusern gibt es im Großraum Madrid heute 50 private Kliniken. Sieben davon sind laut Bericht ausgerechnet jetzt auf unbestimmte Zeit geschlossen, ein Großteil des medizinischen Personals wurde entlassen. Begründung: Es fehle an Patienten, die nicht an dem Virus erkrankt seien. Die meisten Laboratorien sowie viele Spezialbehandlungen sind ebenfalls in privater Hand. So soll auch der Kassenprüfungshof in seinem letzten Bericht bemängelt haben, dass die Kosten bis zu sechsmal höher seien als vor der Privatisierung.
Da das Virus in der Hauptstadtregion am schlimmsten wütet (fast die Hälfte der Toten und Infizierten stammt aus der Gegend rund um Madrid), blieb dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez keine andere Wahl, als auch private Gesundheitsanbieter und ihre Ausrüstungen "unter die Kontrolle" der zuständigen Behörden zu stellen, wie Gesundheitsminister Salvador Illa Ende März bekannt gab. Um den totalen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, wurden inzwischen auch pensionierte Ärzte und Krankenpflegerinnen rekrutiert. Auch Medizinstudenten und Auszubildende in Pflegeberufen wurden mobilisiert.
Inmitten des Chaos gibt es aber auch einen leichten Hoffnungsschimmer: Obwohl die Zahl der Toten innerhalb von 24 Stunden mit 932 einen weiteren traurigen Rekord erreichte, flacht die Steigerungsrate bei Neuinfektionen – ähnlich wie in Italien – mittlerweile leicht ab. Eines steht aber zweifelsfrei fest: Die Corona-Krise wird Spanien noch sehr lange beschäftigen.
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