Zum ersten Mal wurde die Türkei auf die Bedrohungsliste des Militärgeheimdienstes Israels gesetzt. Obwohl nach wie vor diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern unterhalten werden, hat sich die Atmosphäre in den vergangenen Jahren drastisch abgekühlt. In dem Bericht wird zwar festgehalten, dass es keine spezifische Bedrohung seitens der Türkei gibt, dass aber die Politik von Präsident Recep Tayyip Erdoğan Grund zur Sorge gebe.
Für das Jahr 2020 hält die Armee eine direkte Konfrontation mit der Türkei für unwahrscheinlich, aber Ankaras "kriegerische Handlungen" in der Region machen das Land zu einer der Top-Bedrohungen der nächsten Jahre, die es genauestens zu beobachten gelte, zitiert die Times of Israel aus dem Bericht.
Mit kriegerischen Handlungen ist insbesondere der türkische Einmarsch ins benachbarte Syrien gemeint, den Israel heftig kritisierte. Der ehemalige Vorsitzende des Siedlerrates im besetzten Westjordanland und gegenwärtige UN-Botschafter Danny Danon sagte bei einer Sitzung der monatlichen Nahostsitzung des UN-Sicherheitsrates, dass dieser "schockierende" Einmarsch der Türken aber nicht überraschend gekommen ist. Erdoğan "hat die Region durch Gewalt und Unterstützung von Terrororganisation destabilisiert", sagte Danon weiter. Und:
Erdoğan hat die Türkei in ein regionales Hub für Terror verwandelt.
Dass Israel selbst Hunderte von Angriffen in Syrien ausgeführt und Dschihadisten unterstützt hatte, ließ Danon aber aus. Mitte Januar 2019 hatte der scheidende Generalstabschef der israelischen Streitkräfte unumwunden zugegeben, dass Israel "fast täglich" Ziele in Syrien bombardiert hat.
Die Ermordung der iranischen Generalmajors Qassem Soleimani durch eine US-Drohne wird in dem Geheimdienstbericht als das bisher dramatischste Ereignis der letzten Jahre bezeichnet. Es sei ein "formativer Schlag" gegen den Iran gewesen, der enorme Auswirkungen in der Region haben wird. Die USA hätten laut der israelischen Einschätzung die Iraner mit diesem Schlag überrascht, und das habe die Macht der US-amerikanischen Abschreckung wiederhergestellt.
Nahezu identisch äußerte sich auch US-Außenminister Mike Pompeo vergangene Woche, nachdem die Regierung in Washington von der anfänglichen Rechtfertigung (unmittelbare Bedrohung durch geplante Anschläge auf US-Botschaften) abgerückt war und ein neues Narrativ von der bewussten Wiederherstellung der Abschreckung bemühte.
Mehr zum Thema - Strategiewechsel im Weißen Haus: Mord an Soleimani galt der Wiederherstellung der US-Abschreckung
Der Mord an Soleimani ist laut den israelischen Analysten eine Chance, die Angriffe auf den Iran und dessen Verbündete zu erhöhen. Sie gaben in ihrem Bericht eine klare Empfehlung an die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu, diese "Chance" zu nutzen, obwohl gleichzeitig festgehalten wurde, dass dies eine militärische Antwort des Iran oder auch der schiitischen Miliz Hisbollah im Libanon zur Folge haben könnte.
Was die Auseinandersetzungen mit den Palästinensern betrifft, so klassifiziert der Geheimdienst das Risiko eines palästinensischen Aufstandes in der Westbank nach wie vor als "strategische Gefahr", auch wenn seit der letzten Intifada von 2000 bis 2005 keine neuerliche Entwicklung in diese Richtung festgestellt wurde. Ein symbolischer Zwischenfall könne jedoch ausreichen, dass die angestaute Wut aufgrund der systematischen Unterdrückung durch die israelische Armee in einem Volksaufstand endet.
Was den Gazastreifen betrifft, bleibt der Geheimdienst bei der Einschätzung der letzten Jahre, dass die Hamas keinen Krieg mit Israel sucht und deshalb einen langfristigen Waffenstillstand als strategisches Ziel verfolgt. Aus diesem Grund sei Hamas gewillt, den Islamischen Dschihad und andere Organisation in Schach zu halten, um Gaza aufzubauen.
Mehr zum Thema - Als Schutz vor Strafverfolgung: Netanjahu beantragt Immunität