Der erste Fall liegt eigentlich bereits vier Jahre zurück. Am 24. April 2015 schlugen israelische Soldaten in der Nähe des Dorfes Nabi Saleh in der Westbank zwei Videojournalisten zusammen, die die Proteste der Palästinenser und Reaktionen der Armee gefilmt haben. Die Journalisten waren deutlich als Vertreter der Presse zu erkennen, und im Video ist zu sehen, wie die Soldaten außerdem Steine hinterherwarfen, als sie von den beiden Männern abließen.
Die beiden Videojournalisten, Abbas Mumani und Haim Schwarczenberg, verklagten die israelische Armee auf 100.000 Schekel (etwa 24.700 Euro) Schmerzensgeld. In der Anklage erhob ihr Anwalt Eitay Mack den Vorwurf, dass dieser Angriff Teil "einer Serie" von Angriffen der IDF (Israel Defence Force) auf Journalisten und Menschenrechtsaktivisten war, um sie einzuschüchtern und an ihrer erlaubten Arbeit bei Protesten zu hindern.
Der damalige Staatsanwalt behauptete hingegen, dass es sich bei den betreffenden Protesten um "besonders gewalttätige und extreme Ausschreitungen" gehandelt habe, nachdem sich illegale jüdische Siedler das Land zwischen den Dörfern von Nabi Saleh und Deir Nidham angeeignet haben. Die Journalisten hätten "in Abstimmung mit den palästinensischen Aufständischen (und) mit dem Ziel gehandelt, IDF-Kräfte und israelische Zivilisten in der Nähe und Fahrzeuge, die auf der nahe gelegenen Straße fuhren, zu schädigen". Die betreffenden zwei Journalisten waren nach Meinung des Staatsanwaltes "ein untrennbarer Teil der schweren Ausschreitungen … und waren absolut nicht nur mit der Dokumentation der Geschehnisse beschäftigt".
Diese Darstellungsweise wurde durch die beteiligten Soldaten und den Bataillonskommandanten H. Rekah in schriftlichen Aussagen bekräftigt.
Erst als das Video von dem Vorfall auftauchte, das ein weiterer Journalist vermutlich mit seinem Handy aufnahm, kam heraus, dass die Journalisten vollkommen unbeteiligt waren und lediglich ihrer Arbeit nachgingen. Das zwang die Staatsanwaltschaft dazu, vor Gericht einem Vergleich zuzustimmen. Statt der geforderten 100.000 Schekel einigten sich die Parteien auf 9.300 Schekel (ca. 2.300 Euro). Doch der eigentliche Erfolg für Haim Schwarczenberg und Abbas Mumani bestand darin, dass sich die israelische Regierung kleinlaut aus diesem Fall zurückziehen musste. Beim Vergleich bestand sie nicht einmal mehr darauf, dass die Kläger "die Ausschreitungen bei dem Vorfall angeführt haben, was Gegenstand der Klage" war.
Nur zwei Tage nach dieser gerichtlichen Einigung wurde die IDF erneut der Lüge überführt. Beim Ausbruch von Ausschreitungen am 17. Mai in der Nähe der jüdischen Siedlung Yitzhar – die zu den extremistischsten Siedlungen im Westjordanland gehört – und drei palästinensischen Dörfern beschuldigte die IDF die Palästinenser, Felder in Brand gesteckt zu haben. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte die Armee, dass sie zusammen mit der berüchtigten Grenzpolizei das Feuer gelöscht habe, das "von Palästinensern gelegt wurde … die sich Yitzhar und einem militärischen Außenposten näherten". In Anbetracht der gegenwärtigen Hitzewelle und Waldbrand-Krise in Israel kommt diese Anschuldigung einem Vorwurf des Terrorismus gleich.
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Doch wie schon zuvor war es erneut ein Video, das die Anschuldigungen der israelischen Armee widerlegte. Die von ehemaligen IDF-Angehörigen betriebene Menschenrechtsorganisation B'Tselem veröffentlichte am 22. Mai das Beweismaterial, welches klar erkennen lässt, wie bewaffnete Siedler mindestens zwei Feuer gelegt haben und anschließend Palästinenser mit Steinen angriffen.
Für die Vorsitzende der israelischen Meretz-Partei, Tamar Zandberg, war das der Vorfall, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Dem Büro des Generalstabschefs schrieb sie:
Die zur Anstiftung predigende Jeschiwa (jüdische Hochschule zum Studium der Tora und des Talmud/Anm.) in Yitzhar sollte geschlossen werden. Die Siedlung ist zu einem Brutkasten des jüdischen Terrors geworden und sollte evakuiert werden.
Nach der Veröffentlichung von B'Tselem sah sich die IDF gezwungen, ihre ursprüngliche Behauptung zu revidieren. In der neuen Stellungnahme hieß es dann nur noch, dass "mehrere Feuer gelegt wurden und sich schnell verbreiteten" und zur gleichen Zeit "etwa 20 Anwohner (von Yitzhar/Anm.) nach unten an den Außenrand des Dorfes Asira al-Qibliya gingen und anfingen, Steine zu werfen". Während in der ersten Stellungnahme noch die Schuldfrage erhoben und den Palästinensern zugeschoben wurde, fehlte in der zweiten jegliche Schuldzuwendung.