Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hat die Echtheit eines aus ihren Reihen geleakten Berichts zu dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz am 7. April 2018 im syrischen Duma bestätigt. Der Bericht legt eine Inszenierung des Vorfalls durch die Aufständischen nahe.
Gegenüber der "Working Group on Syria, Propaganda and Media", die das Dokument zu Wochenbeginn veröffentlichte, hatte die OPCW noch davon gesprochen, dass der Bericht kein Teil der offiziellen Untersuchung gewesen sei. Dessen Verfasser – der OPCW-Inspection Team Leader Ian Henderson – gehörte zudem nicht der Fact Finding Mission (FFM) an, die von der OPCW mit der Vor-Ort-Untersuchung des Vorfalls beauftragt war.
Nun gab die Presseabteilung der OPCW bekannt, dass sie "eine interne Untersuchung zur nicht-autorisierten Veröffentlichung" des Dokuments einleiten werde, womit sie dessen Echtheit unmissverständlich bestätigte.
Während sie darauf hinwies, dass sie "Informationen über einzelne Mitglieder des Technischen Sekretariats" gemäß der eigenen Statuten nicht preisgeben werde, erklärte die OPCW weiter:
Die FFM berücksichtigt alle verfügbaren, relevanten und zuverlässigen Informationen und Analysen im Rahmen seines Auftrags zur Ermittlung seiner Ergebnisse. Gemäß der üblichen Praxis zieht die FFM bei Bedarf Fachwissen aus verschiedenen Abteilungen des gesamten Technischen Sekretariats heran. Bei der Formulierung des Abschlussberichts über den Vorfall in Duma wurden alle Informationen berücksichtigt, beraten und abgewogen.
Die allgemein gehaltene Aussage impliziert, dass Hendersons Bericht evaluiert wurde – und somit tatsächlich Teil der Untersuchung war. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass zwei in Duma aufgefundene Zylinderflaschen wahrscheinlich nicht aus der Luft abgeworfen, sondern dort per Hand platziert wurden. Ersteres würde für die Täterschaft der syrischen Armee sprechen, letzteres für die Täterschaft der islamistischen Aufständischen, die Duma seinerzeit kontrollierten. Laut dem OPCW-Abschlussbericht sei es "möglich", dass die Zylinder Chlorgas verströmten, infolgedessen über 40 Menschen getötet worden sein sollen.
OPCW-Abschlussbericht verstößt gegen Transparenz und wissenschaftliche Standards
Während der geleakte Bericht ein zusätzliches Indiz für eine Inszenierung liefert – neben beispielsweise den gefälschten Aufnahmen aus dem Krankenhaus in Duma – zeigen sich die Anhänger der These von der Schuldigkeit der syrischen Armee davon unbeirrt. Darunter Scott Lucas, Redakteur der Webseite EA WorldView, der in der Vergangenheit schon mit der nachweislich falschen Behauptung Stimmung machte, in Duma seien neben Chlorgas auch Chemiewaffen eingesetzt worden. Er vertritt die Ansicht, dass die OPCW Hendersons Bericht nicht unterdrückt, sondern lediglich aussortiert habe, weil sie ihn nicht für schlüssig befand.
Selbst wenn dem so wäre, stellt sich die Frage, warum die OPCW in ihrem Abschlussbericht mit keiner Silbe erwähnte, dass überhaupt verschiedenen Hypothesen im Zusammenhang mit den Zylindern nachgegangen wurde. Dort heißt es lediglich, dass Ingenieure gebeten wurden, Bewertungen über die "Flugbahn" der Zylinder abzugeben. Es wurde also stillschweigend vorausgesetzt, dass sie aus der Luft abgeworfen wurden – und damit implizit auch die Täterschaft der syrischen Armee.
Zudem hätte die OPCW transparent machen müssen, dass Experten aus ihren eigenen Reihen bezweifeln, dass die Zylinder überhaupt eine "Flugbahn" nahmen. Anschließend hätte sie begründen müssen, warum sie dieser Einschätzung nicht gefolgt ist.
John Bolton zum OPCW-Chef: "Wir wissen, wo Ihre Kinder wohnen"
Warum die OPCW auf eine transparente und wissenschaftlichen Standards entsprechende Verfahrensweise verzichtete, kann nur gemutmaßt werden. Klar ist jedoch, dass deren Abschlussbericht dem Westen in die Hände spielte, der die syrische Regierung unmittelbar für den angeblichen Giftgaseinsatz in Duma verantwortlich machte. Als Vergeltung flogen die USA, Frankreich und Großbritannien eine Woche nach dem Vorfall Luftangriffe auf syrische Einrichtungen.
Es steht daher zu vermuten, dass diese Länder Druck auf die OPCW ausübten, damit diese das gewünschte Ergebnis liefert. Deren Abschlussbericht liefert zwar keinerlei Beweis für eine Täterschaft der syrischen Armee, legt diese aber durch vage Formulierungen und Auslassungen nahe.
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Es wäre nicht das erste Mal, dass Washington seine Macht gegenüber der Organisation spielen ließ. Ein Jahr vor der Invasion des Iraks 2003 übte die US-Regierung vehementen Druck aus, um den damaligen OPCW-Chef José Bustani aus dem Amt zu drängen. Dessen "Vergehen": Der Brasilianer hatte mit Bagdad ausgehandelt, dass Waffeninspekteure der OPCW unangekündigte Besuche im Irak vornehmen können. Das von Washington gehegte Mantra von den "Massenvernichtungswaffen" drohte dadurch zu kollabieren.
Im März 2002 lief dann der damalige US-Unterstaatssekretär für Rüstungskontrolle und internationale Sicherheitsfragen und jetzige US-Sicherheitsberater John Bolton im OPCW-Hauptquartier in Den Haag auf und drohte Bustani nach dessen Aussage mit den Worten:
Sie haben 24 Stunden Zeit, um die Organisation zu verlassen. Wenn Sie dieser Entscheidung Washingtons nicht nachkommen, haben wir Möglichkeiten, Vergeltungsmaßnahmen gegen Sie zu ergreifen. Wir wissen, wo Ihre Kinder wohnen. Sie haben zwei Söhne in New York.
Russland spricht von Politisierung der OPCW
Moskau ist offenbar nicht länger gewillt, den politischen Missbrauch der OPCW durch westliche Staaten zu dulden. Am Donnerstag legte Russland laut AFP dem UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vor, der die aus Moskaus Sicht bestehende Politisierung der OPCW kritisiert.
Laut dem Textentwurf soll der UN-Sicherheitsrat als das einzige Organ festgeschrieben werden, das Maßnahmen gegen Länder ergreifen kann, die gegen das Chemiewaffenübereinkommen verstoßen haben.
Auf Betreiben des Westens wurde im Juni 2018 gegen den Willen Moskaus und anderer Länder das Mandat der OPCW insofern ausgeweitet, als dass die Organisation künftig bei Chemiewaffenvorfällen auch Schuldige benennen können soll.
In dem nun von Russland dem UN-Sicherheitsrat vorgelegten Resolutionsentwurf heißt es, dass "die fortschreitende Politisierung der Arbeit der OPCW und die zunehmende Abweichung von der etablierten Praxis der konsensbasierten Entscheidungsfindung" mit Besorgnis verfolgt werde.
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