Ein mutmaßlich geleakter Bericht aus den Reihen der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) wirft ein neues Licht auf die Untersuchung der Organisation zum angeblichen Giftgaseinsatz im syrischen Duma am 7. April 2018. Der Westen machte schnell die syrische Regierung für die Tat verantwortlich, bei der über 40 Menschen getötet worden sein sollen. Als Vergeltung flogen die USA, Frankreich und Großbritannien eine Woche später Luftangriffe auf syrische Einrichtungen.
Doch der zur "internen Überprüfung" verfasste und nun doch noch an die Öffentlichkeit gelangte Bericht mit dem Titel "Engineering Assessment of two cylinders observed at the Douma incident" legt nahe, dass es sich bei der Aktion um eine Inszenierung durch jene islamistischen Aufständischen handelte, die Duma seinerzeit kontrollierten.
Anfang März hatte die OPCW ihren Abschlussbericht veröffentlicht, laut dem – anders als zuvor von den USA und Frankreich behauptet – in Duma keine Chemiewaffen wie Sarin zum Einsatz kamen. Die OPCW geht jedoch davon aus, dass es "angemessene Gründe" für die Annahme gibt, das dort Chlorgas eingesetzt wurde, welches allerdings nicht der Chemiewaffenkonvention unterliegt.
Die Untersuchung konzentrierte sich auf zwei Örtlichkeiten, an denen jeweils ein verdächtiger Metallzylinder gefunden wurde. Es sei laut dem Abschlussbericht "möglich", dass sie Chlorgas verströmten. Die beiden Behälter standen auch im Mittelpunkt der Untersuchung des nun geleakten Berichts (im Folgenden als "interner Bericht" bezeichnet). Veröffentlicht wurde das Dokument von der "Working Group on Syria, Propaganda and Media", der es nach eigener Darstellung aus den Reihen der OPCW selbst zugespielt wurde – zur Frage seiner Echtheit später mehr.
Interner Bericht hält Inszenierung durch Aufständische für plausibler
Unter Betonung der Unvoreingenommenheit der Untersuchung widmet sich der interne Bericht den konträren Hypothesen, die sich auf folgende Positionen zusammenfassen lassen: Entweder wurden die Zylinder aus der Luft abgeworfen, was für die Täterschaft der syrischen Luftwaffe sprechen würde. Oder sie wurden dort von Hand platziert, was hingegen für die Täterschaft der Aufständischen sprechen würde. Die Analyse der Experten kommt hinsichtlich beider Zylinder zu dem Schluss:
Die Abmessungen, Merkmale und das Erscheinungsbild der Zylinder sowie der Umgebung entsprechen nicht dem, was beim Abwurf eines der Zylinder aus einem Fluggerät zu erwarten gewesen wäre. In jedem Fall lieferte die alternative Hypothese die einzige plausible Erklärung für die vor Ort gemachten Beobachtungen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vor Ort an beiden Standorten gemachten Beobachtungen zusammen mit einer anschließenden Analyse darauf hindeuten, dass es wahrscheinlicher ist, dass beide Zylinder an diesen beiden Standorten von Hand platziert wurden, anstatt von einem Fluggerät abgeworfen worden zu sein.
Im OPCW-Abschlussbericht findet weder diese bemerkenswerte Schlussfolgerung eine Erwähnung, noch die Tatsache, dass überhaupt – wissenschaftlichen Standards entsprechend – alternative Hypothesen untersucht und verglichen wurden. Dort heißt es lediglich, dass Ingenieure gebeten wurden, Bewertungen über die "Flugbahn" der Zylinder abzugeben. Dass die Einschlagslöcher auf die gefundenen Zylinder zurückzuführen sind und diese aus der Luft abgeworfen wurden, wurde also bereits stillschweigend vorausgesetzt – und damit implizit auch die Täterschaft der syrischen Armee.
Auf welche Experten die OPCW bei der Analyse der unterstellten "Flugbahn" zurückgriff, wird in dem Abschlussbericht nicht erwähnt. Die in "Anhang 6" und "Anhang 7" enthaltenen "weiteren Details zu den Ergebnissen und zur Analyse" sind wenig aussagekräftig, da die zugrundeliegenden Daten und Verfahrensweisen intransparent bleiben. Die nachfolgende Analyse der Aussagen über die beiden Zylinder belegt weitere Unzulänglichkeiten des veröffentlichten OPCW-Abschlussberichts.
Location 2 – Die "Terrassen-Bombe"
Der auf der Dachterrasse eines Hauses ("Location 2") aufgefundene Zylinder soll ein Loch in der Stahlbetondecke verursacht haben, ohne dieses selbst zu passieren. Durch die entstandene Öffnung soll das Chlorgas nach unten geströmt sein und anschließend Dutzende Menschen getötet haben, wie folgende Abbildung aus dem OPCW-Abschlussbericht verdeutlicht:
Laut der Analyse des internen Berichts muss der Zylinder einen Auftreffwinkel von etwa 20 Grad Abweichung von der Vertikalen gehabt haben, um eine Ähnlichkeit mit den gemachten Beobachtungen aufweisen zu können. Doch die Betondecke hätte dann einen solchen Zylinder, der aus einer Höhe von mindestens 500 Metern in einem solchen Winkel auftrifft, nicht aufhalten können.
Auch habe die Vorderseite des Zylinders keine Anzeichen einer Wechselwirkung mit der Betondecke beim Aufschlag erkennen lassen. Wäre er von den in der Betondecke eingearbeiteten Stahlbewehrungsstäbe gestoppt worden, hätten diese erkennbare Einkerbungen auf dem Behälter hinterlassen müssen, die aber gleichfalls nicht auszumachen seien. Zudem sei die vom Aufprall wegzeigende Verbiegung der Bewehrungsstäbe von über 90 Grad eher mit einer Explosion an diesem Ort in Einklang zu bringen.
Alle oben aufgeführten Elemente deuten darauf hin, dass der behauptete Einschlag mit den zu beobachteten Verformungen des Zylinders und den Schäden am Beton nicht vereinbar war", so das Fazit des Berichts.
Dem Bericht zufolge ist das als "Krater" bezeichnete Loch in der Decke wahrscheinlich das Resultat einer Explosion:
Experten wurden hinzugezogen, um das Erscheinungsbild des Kraters an Location 2, insbesondere an der Unterseite, zu beurteilen. Nach Ansicht der Experten stimmt es eher überein mit der Folge einer Explosion (zum Beispiel durch eine Mörsergranate oder ein Artilleriegeschoss), als durch den Aufprall eines fallenden Objekts. Dies wurde auch durch die verformten Bewehrungsstäbe an der Unterseite des Kraters bestätigt, die nicht auf den Zylinder zurückgeführt werden können, der nur minimale Schäden aufweist und den Krater nicht durchschlagen hat.
Für diese Schlussfolgerung würde zudem sprechen, dass "Krater mit sehr ähnlichem Erscheinungsbild" auf Dächern nahegelegener Gebäude gesichtet worden. "Anhang 6" des OPCW-Abschlussberichts enthält ein Foto eines solchen Kraters auf einem angrenzenden Dach, "ähnlich demjenigen von der Dachterrasse an Location 2".
Der Bericht geht jedoch nicht der Frage nach, ob nicht auch der Krater an Location 2 das Resultat eines explosiven Geschosses sein könnte. Der Verweis auf den "ähnlichen" Krater bleibt so völlig unvermittelt und unkommentiert im offiziellen Dokument stehen.
Laut dem internen Bericht sprächen dagegen zudem "das Splittermuster an den oberen Wänden", die "Betonabsplitterungen unter dem Krater" sowie schwarze Rauchrückstände an der Decke und der Unterseite des Kraters für ein explosives Geschoss als Verusacher.
Zu dem entstandenen Brand, der auf eine Explosion hindeutet, heißt es im OPCW-Abschlussbericht (Punkt 9, Anhang 6), dass laut einem befragten Zeugen das Feuer im Raum entfacht wurde, um die darin befindlichen Chemikalien zu neutralisieren. Die Glaubwürdigkeit der Aussage lässt sich nicht überprüfen, da die Identität des Zeugen unbekannt bleibt.
Hierzu sei angemerkt, dass in dem Abschlussbericht zumeist die "Weißhelme" ("Syrian Civil Defence") als Quelle angegeben werden, wenn von Symptomen, die für Giftgas sprechen (wie "Schaum vorm Mund"), bei den Opfern die Rede ist (siehe Punkt 8.55, 8.57, 8.63, 8.64).
Die mit islamistischen Terrorgruppen kooperierenden "Weißhelme" stehen in dringendem Verdacht, bei der Fälschung der Videoaufnahmen im Krankenhaus von Duma mitgewirkt zu haben. Die Aufnahmen wurden verbreitet von der US-finanzierten "Syrisch-Amerikanischen Ärztegesellschaft" (SAMS), die der extremistischen Muslimbruderschaft nahesteht. Die Organisation ist neben den Weißhelmen die einzige Quelle für die Behauptung eines Giftgasangriffs, auf die sich die OPCW in ihrem Abschlussbericht beruft.
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Location 4 – Die "Bett-Bombe"
Der an "Location 4" aufgefundene Zylinder soll die Stahlbetondecke des Gebäudes durchschlagen haben und danach vom Boden des darunterliegenden Zimmers abgeprallt sein, um schließlich auf dem dort befindlichen Bett zu landen. Siehe dazu auch folgende Illustration aus dem OPCW-Abschlussbericht:
Den am Zylinder beobachteten Schäden zufolge müsste der Behälter die Decke in einer horizontalen Lage durchschlagen haben – wovon auch der Abschlussbericht als Faktum ausgeht. Doch im Gegensatz zu diesem Hergang behauptet der interne Bericht, dass der Zylinder mitsamt Ventil und Seitenleitwerk gar nicht durch das Loch in der Decke gepasst habe. Demnach sei es schlichtweg "nicht möglich, Umstände festzulegen, unter denen der Zylinder durch den Krater passen könnte".
Auch seien die Schäden in dem Zimmer mit der behaupteten Flugbahn des Zylinders unvereinbar. Laut dem Bericht "blieb das Ventil intakt und der Inhalt des Zylinders verblieb im Behälter". Demnach strömte aus dem Behälter auch kein Chlorgas aus.
Der OPCW-Abschlussbericht formulierte diesen Sachverhalt bemerkenswerterweise weniger eindeutig. Dort heißt es unter Punkt 8.33:
Laut den Beobachtungen des Teams schien es zum Zeitpunkt seines Aufenthalts an der Örtlichkeit keine undichte Stelle an dem Zylinder zu geben.
Dass in dem OPCW-Bericht Opfer des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes nur im Zusammenhang mit "Location 2" erwähnt werden, spricht ebenfalls dafür, dass aus dem Zylinder an der "Location 4" kein Chlorgas ausströmte.
Chlorgas selbst konnten die OPCW-Ermittler in dem Raum nicht mehr direkt nachweisen, was aufgrund der Flüchtigkeit des Gases aber zu erwarten war. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass unter dem Zylinder eine Holzlatte aufgefunden wurde, die laut dem Abschlussbericht "den höchsten Gehalt an chlorierten organischen Verbindungen von allen entnommenen Holzproben" aufwies.
Da der Zylinder verschlossen war, muss die nachgewiesene Chlorverbindung wohl eher einer Reaktion mit anderen Stoffen geschuldet sein, wie sie auch im Abschlussbericht beispielsweise unter Punkt 8.10 angeführt sind. Irreführend ist die darin gemachte Behauptung, dass in allen Holzproben 2,4,6-Trichlorphenol nachgewiesen wurde, welches "von Natur aus nicht in Holz anzutreffen" sei, aber laut Experimenten durch die Einwirkung von Chlorgas entstehen könne. Der OPCW-Abschlussbericht unterschlägt, dass 2,4,6-Trichlorphenol auch in Brandschutzmitteln vorkommt, mit denen durchaus auch dieses Holz behandelt worden sein könnte.
Während die OPCW-Ermittler dort Chlorgas weder direkt noch indirekt nachweisen konnten, haben sie jedoch Rückstände des Sprengstoffs TNT entdeckt – gleiches gilt für Location 2. Auch das spricht vielmehr dafür, dass die Löcher in den Betondecken von Explosivgeschossen verursacht worden sind und die Zylinder anschließend dort platziert wurden.
OPCW: Dokument kein Teil der offiziellen Untersuchung
Die "Working Group on Syria, Propaganda and Media" behauptet, dass die Echtheit des ihr zugespielten Dokuments von verschiedenen Quellen innerhalb der OPCW bestätigt wurde. Demnach sei ein technisches Team von der Fact Finding Mission (FFM) der OPCW, die den Vorfall vor Ort untersuchte, mit der Analyse der Zylinder beauftragt worden. Deren Bericht sei dann aber nicht in den Abschlussbericht aufgenommen worden.
Gezeichnet wurde der Bericht von Ian Henderson, seines Zeichens OPCW Inspection Team Leader. Die OPCW bestreitet gegenüber der Working Group zwar weder die Existenz des Berichts noch, dass Henderson für sie arbeitet. Doch sei er kein Mitglied der Fact Finding Mission gewesen und sein Bericht demnach kein Teil der FFM-Untersuchung. Die Working Group hingegen wendet ein, dass Henderson gar keinen Zugang zu den beiden mutmaßlichen Tatorten hätte haben können, wenn er nicht zuvor von der OPCW bei den syrischen Behörden angemeldet worden sei. Auch sei die Behauptung falsch, dass sein Bericht kein Teil der offiziellen Untersuchung war, da dieser sich auch auf "externe Mitarbeiter und Berater" beziehe, einschließlich "zweier europäischer Universitäten".
Diese externe Zusammenarbeit in einer so heiklen Angelegenheit hätte nicht ohne Genehmigung stattfinden können: Andernfalls wäre Henderson wegen Verletzung der Vertraulichkeit sofort entlassen worden. Wir sind daher davon überzeugt, dass die Erstellung des Berichts die erforderliche Genehmigung innerhalb der OPCW erhalten hatte. Was nach der Erstellung des Berichts geschah, ist eine andere Sache", argumentiert die Working Group.
Die Echtheit des internen Berichts wird selbst von denjenigen nicht bestritten, die – wie Scott Lucas – dessen Aussagen zu widerlegen versuchen. Dieser mit der Integrity Initiative kooperierende Redakteur der Webseite EA WorldView, der in der Vergangenheit schon mit der nachweislich falschen Behauptung Stimmung machte, in Duma seien neben Chlorgas auch Chemiewaffen eingesetzt worden, ist der Ansicht, dass Henderson lediglich seine Einschätzung als Berater abgegeben habe, die von der FFM zurückgewiesen wurde. Es handele sich dabei um einen quasi in letzter Minute eingereichten Einwand gegen den OPCW-Abschlussbericht.
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Tatsächlich ist der interne Bericht datiert auf den 27. Februar 2019, also wenige Tage vor der Veröffentlichung des Abschlussberichts. Doch die Darstellung von Scott Lucas ignoriert, dass der interne Bericht mehrfach auf die FFM Bezug nimmt und mit deren Material arbeitet. Außerdem geht daraus auch hervor, dass die Zylinder zweifellos noch vor Ort untersucht worden sein müssen. Die OPCW hatte dagegen diese Behälter Anfang Juni 2018 versiegelt und an einen anderen Ort gebracht. Im Oktober wurden dann nicht näher spezifizierte "technische Experten" konsultiert, die erst dann offenbar mit der Analyse der "Flugbahn" der Zylinder beauftragt wurden.
Es wäre ungewöhnlich, wenn monatelang auf die Untersuchung der Zylinder am Tatort selbst verzichtet worden wäre. Vielmehr scheint es, dass gerade Hendersons Team mit der zeitnahen Vor-Ort-Untersuchung beauftragt wurde. Doch als diese dann nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte, wurde sie offenbar "verworfen", oder einfach nicht berücksichtigt.
So oder so: Die Ergebnisse des internen Berichts fanden keinen Eingang in den offiziellen Abschlussbericht, was ein weiterer Beleg für dessen Einseitigkeit und Voreingenommenheit ist.
So verzichtete die OPCW auch auf die Durchführung von Autopsien, obwohl das explizit zu ihrem Handlungsauftrag gehörte. Zudem akzeptierte sie Zeugenaussagen aus dem Umfeld der Weißhelme oder der Syrisch-Amerikanischen Ärztegesellschaft als beweiskräftig, obwohl diese nachweislich falsche Angaben im Zusammenhang mit den Ereignissen in Duma gemacht hatten. Andererseits wurden dazu konträre Aussagen von Rettungshelfern und Medizinern ignoriert, die von einer Inszenierung durch die Aufständischen sprechen. Ebenso ging die OPCW Hinweisen nicht nach, die für eine Manipulation des Tatorts und eine Präparation der Leichen sprechen. (Siehe dazu: OPCW findet keine Beweise für Chemiewaffeneinsatz im syrischen Duma)
Während die Fakten dafürsprechen, dass der angebliche Giftgaseinsatz in Duma von den Aufständischen inszeniert wurde, kristallisiert sich obendrein immer deutlicher heraus, dass der offizielle OPCW-Abschlussbericht mit dem Kalkül verfasst wurde, genau das – im Sinne des Westens – zu verschleiern.
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