Der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul sorgt weiter für sensationelle Nachrichten. So sollen sich laut dem Nachrichtenportal Middle East Eye natürlich nicht namentlich genannte Quellen gemeldet haben, die entweder hervorragend über die Geschehnisse aus dem engsten Zirkel des Kronprinzen informiert sind oder selbst dazugehören. Sie behaupten, Mohammed bin Salman habe nach dem Mord eine "Schadensbegrenzungs-Task-Force" ins Leben gerufen, um die Auswirkungen für Saudi-Arabien und ihn selbst so gut wie möglich einzudämmen und zu minimieren.
Dass so eine "Task Force" nach irgendeiner Katastrophe ins Leben gerufen wird, unabhängig von den Ursachen der Katastrophe, ist ein völlig normaler Vorgang. Doch in diesem Fall ist es in doppelter Hinsicht bemerkenswert: in der Auswahl der Partner und der Lösungsvorschläge. Denn Mohammed bin Salman wandte sich an niemand Geringeren als den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der ihm dabei helfen sollte, die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Um den internationalen Aufschrei nach dem Mord an dem saudischen Journalisten in andere Bahnen zu lenken und insbesondere den Druck der USA zu lockern, wurde der Vorschlag gemacht, dass Israel einen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen vom Zaun brechen könnte. Das zeugt von extremem Zynismus auf Seiten der Saudis, die sich als islamische Führungsmacht sehen und sich die Sache der Palästinenser auf die Fahne geschrieben haben. Dass dann ausgerechnet Israel – mit dem sich Saudi-Arabien offiziell seit 1948 im Krieg befindet – um Hilfe gebeten wird, Palästinenser umzubringen, nur um von einem kriminellen Mord abzulenken, zeugt von enormer Chuzpe, um im linguistischen Sprachgebrauch der Region zu bleiben. Das wird auf der für die Legitimität für den selbsternannten "Diener der beiden heiligen Stätten" so wichtigen "arabischen Straße" alles andere als gut ankommen, wo der Jahrhundertkonflikt zwischen Palästinensern und Zionisten bzw. später Israel nach wie vor eines der wichtigsten Themen ist.
Dass die gegenwärtige Eskalation der Gewalt zwischen der Hamas und Israel etwas mit diesen Geheimgesprächen zu tun hat, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn die Ereignisse deuten eher darauf hin, dass Netanjahu von seinem Verteidigungsminister Avigdor Lieberman mit der fehlgeschlagenen Operation eines israelischen Sondereinsatzkommandos im Gazastreifen überrumpelt wurde, weshalb Lieberman am 14. November von seinem Posten zurücktreten musste. Obwohl auch Netanjahu keinerlei moralische Bedenken hat, aus innenpolitischen Gründen einen Krieg zu beginnen, wie es im Vorfeld des Gazakrieges von 2014 der Fall war. Aber sich für ein anderes Land vor den Karren zu spannen lassen, hat dann schon eine ganz andere Qualität und würde auch der gegenwärtigen Politik Netanjahus diametral entgegenstehen.
Denn was die meisten westlichen Kommentatoren und Unterstützer Israels nicht verstehen, ist die Tatsache, dass die Hamas für Netanjahu aus strategischen Gründen nützlich ist. Solange sie im Gazastreifen das Sagen hat und sich keine einheitliche palästinensische Regierung zwischen Gaza und dem Westjordanland bildet, sind die Palästinenser auf der internationalen Bühne zu schwach und gespalten, um ihren Traum von einem Staat Palästina zu verfolgen. Das bestätigte auch ein israelischer politischer Analyst gegenüber Middle East Eye:
Mit der Hamas an der Macht und der Konsolidierung der Teilung zwischen Gaza und des Westjordanlands kann Netanjahu mit seinem primären Ziel weitermachen: der Verhinderung jeglicher Option auf einen unabhängigen palästinensischen Staat zwischen dem Fluss (Jordan) und dem Meer. Um dieses Ziel zu erreichen, ist er sogar bereit, sich von der Hamas demütigen zu lassen, wie es in der letzten Runde der Gewalt geschehen ist.
Mit Demütigung meint er, dass die Hamas die Zustimmung des israelischen Ministerpräsidenten zur Waffenruhe als Sieg wertet.
Eine weitere Maßnahme, die die aus Mitgliedern des Herrscherhauses, Außen- und Verteidigungsministeriums sowie dem Geheimdienst bestehende Task Force dem Kronprinzen laut dem Bericht von Middle East Eye empfohlen hat, war, dass die "Türkei unter allen Umständen neutralisiert" werden müsse. Notfalls mit dem altbewährten Mittel der Bestechung, indem Saudi-Arabien türkische Waffen kauft, sowie mit öffentlichen Statements des Kronprinzen, die die Beziehungen zwischen Riad und Ankara wieder verbessern sollen. Schon bei der im Schatten des Khashoggi-Mordes stehenden Investitionskonferenz im Oktober betonte bin Salman, dass er nicht erlauben werde, dass dieser Mord dazu genutzt werde, um einen Keil zwischen Saudi-Arabien und der Türkei zu treiben.
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