Es war vor allem ein Signal an Washington: Bei seiner Visite in Damaskus vereinbarte der iranische Verteidigungsminister Amir Hatami mit seinen syrischen Partnern ein neues Militärabkommen zwischen beiden Ländern. Zudem wurde laut der privaten iranischen Nachrichtenagentur Tasnim ein Abkommen für den Wiederaufbau des kriegsgerüttelten Landes unterzeichnet. "Syrien überwindet das Krisenstadium und tritt in die Phase des Wiederaufbaus ein", erklärte Hatami anschließend. Die Abkommen garantierten demnach die Fortsetzung der iranischen "Präsenz und Beteiligung" in Syrien.
Das Treffen zwischen dem iranischen Verteidigungsminister und dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sowie ranghohen syrischen Militärs kommt einer Kampfansage in Richtung Washington gleich. Dort hat man sich von dem ursprünglichen Ziel, den Sturz Assads durch die Unterstützung islamistischer Aufständischer zu erreichen, angesichts der Realitäten auf dem Schlachtfeld inzwischen verabschiedet. Die neue Marschrichtung ließe sich so zusammenfassen: Ist Assad der Sieg im Krieg nur noch schwer zu nehmen, so darf er auf keinen Fall den Frieden gewinnen.
Aus diesem Grund hintertreiben die USA und Verbündete wie Deutschland den Wiederaufbau in Syrien, unter anderem - laut Moskau - mit einer geheimen UN-Direktive. Bevor Gelder für diesen Zweck fließen, müsse es erst einen "politischen Übergang" geben, sprich: Assad soll sein Amt aufgeben. "Assads Unvermögen, an großzügige Gelder für den Wiederaufbau ohne Bedingungen zu gelangen, wird sein Preis für den Sieg sein", hieß es bereits im vergangenen Jahr aus den Reihen des Council on Foreign Relations.
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Die wirtschaftliche Erpressbarkeit Syriens, insbesondere vor dem Hintergrund eines akuten Fachkräftemangels, der die Frage nach einer Rückkehr von Flüchtlingen so dringend macht, ist die große Trumpfkarte in den Händen des Westens beim Poker um die Nachkriegszukunft des arabischen Landes.
IS als Vorwand für US-Militärpräsenz hat ausgedient
Washington rückt zudem immer stärker davon ab, seine völkerrechtswidrige militärische Präsenz in Syrien mit dem Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) zu rechtfertigen. Zwar lassen die US-Kräfte laut einem jüngsten UN-Bericht der Terrormiliz genug Raum zum Überleben, wodurch der Vorwand für die eigene Präsenz bestehen bleibt. Doch längst ist Washington dazu übergegangen, die Anwesenheit des US-Militärs über die Zeit nach einem Ende des IS hinaus zu begründen. Bereits im November 2017 beleuchtete die Washington Post diese Neuausrichtung:
Ein abrupter Rückzug der USA könnte Assads Macht auf syrischem Territorium vervollständigen und ihm helfen, sein politisches Überleben zu sichern – ein Ergebnis, das einen Sieg für den Iran, Assads engen Verbündeten, bedeuten würde. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, so US-Beamte, planen sie, die US-Truppenpräsenz in Nordsyrien aufrechtzuerhalten.
Die Zeitung zitierte dazu den Analysten Nicholas Heras vom Center for a New American Security:
Die Bedingungen sind so, dass sich die Anti-IS-Kampagne in eine Anti-Iran-Kampagne verwandelt. Indem das Pentagon keinen Zeitrahmen für das Ende der US-Mission bekanntgibt, schafft es einen Rahmen, dass den USA ermöglicht, für die nächsten Jahre in Syrien zu bleiben.
Im Januar unterstrich der damalige US-Außenminister Rex Tillerson, dass US-Soldaten auch nach einem vollständigen Sieg über den IS auf unabsehbare Zeit in Syrien verbleiben werden, um den Iran zu schwächen und Präsident Assad doch noch von der Macht drängen zu können. Inzwischen begründet Washington offen die eigene Militärpräsenz mit der der iranischen Kräfte. So heißt es in einer vor zehn Tagen veröffentlichten Erklärung des US-Außenministeriums:
Der Präsident hat deutlich gemacht, dass wir bereit sind, bis zur endgültigen Niederlage des IS in Syrien zu bleiben, und wir konzentrieren uns weiterhin darauf, den Rückzug der iranischen Streitkräfte und ihrer Vertreter sicherzustellen.
Unter Berufung auf eine Quelle aus der US-Regierung schrieb Bloomberg vor wenigen Tagen: "Ein amerikanischer Abzug könnte nur dann stattfinden, wenn alle iranischen Kämpfer mitsamt Waffen und verbündeter Milizen aus Syrien verschwunden sind – und es ist nicht klar, ob Russland dieses Ergebnis liefern könnte, selbst wenn es das wollte."
Westen will Einnahme von Dschihadisten-Provinz verhindern
Ungeachtet westlicher Warnungen vor einer sich vermeintlich anbahnenden "humanitären Katastrophe" zieht das syrische Militär gegenwärtig seine Kräfte zusammen, um mit russischer Unterstützung die Provinz Idlib zurückzuerobern, die letzte große Bastion der Dschihadisten. Die Aufständischen hatten die Provinz mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt im Frühjahr 2015 unter der Führung al-Kaidas und mithilfe moderner US-Waffen erobert.
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Deren Einnahme durch die syrische Armee wäre ein herber Verlust für die Anti-Assad-Koalition. Damit ginge auch ein wichtiges Druckmittel hinsichtlich künftiger Verhandlungen, etwa zur Frage des Wiederaufbaus, verloren. Entsprechend fiel die Reaktion des Nationalen Sicherheitsberaters der US-Regierung aus:
Wir sehen jetzt die Pläne des syrischen Regimes, seine offensiven militärischen Aktivitäten in der Provinz Idlib wiederaufzunehmen. Wir müssen offensichtlich besorgt sein über die Möglichkeit, dass Assad wieder chemische Waffen benutzen könnte.
Man werde in diesem Fall "sehr energisch" und "stärker" als zuvor reagieren, verlautete John Bolton. Die USA, Großbritannien und Frankreich, die im April nach dem mutmaßlich inszenierten Chemiewaffeneinsatz in Duma Militärschläge auf syrische Einrichtungen durchführten, bezeugten jüngst in einer gemeinsamen Erklärung ihre "Entschlossenheit", sollte "das Assad-Regime wieder chemische Waffen" einsetzen.
Schon vor zwei Monaten hatte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, klargestellt, dass "für alle zukünftigen Angriffe [mit Chemiewaffen] auf das syrische Volk Assad verantwortlich gemacht wird, ebenso wie Russland und Iran, die ihm helfen, sein Volk zu töten."
Unverhohlener hätte die Aufforderung an die Aufständischen, einen Chemiewaffeneinsatz zu fingieren, um der westlichen Allianz einen Vorwand zum Losschlagen zu geben, kaum ausfallen können.
Russische Marine zieht Kräfte zusammen – Militärs warnen vor Eskalation
Alarmiert von den westlichen Drohungen und den sich aktuell vermehrenden Hinweisen auf einen von den Islamisten in Idlib vorbereiteten Chemiewaffeneinsatz unter falscher Flagge, zog Russland in den letzten Tagen eilig seine Marinekräfte in der Region zusammen.
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Laut der Webseite Bosphorus Observer passierten mehrere aus dem Schwarzen Meer kommende Kriegsschiffe die Meeresenge in Richtung Mittelmeer. Darunter die mit Kalibr-Lenkraketen ausgestatteten Fregatten Admiral Grigorowitsch und Admiral Essen, der Lenkwaffenkreuzer Marschall Ustinow, der U-Bootjäger Seweromorsk, die Korvetten Grad Swijaschsk und Weliki Ustjug sowie weitere Kriegsschiffe und U-Boote. Es soll sich inzwischen um 17 Kriegsschiffe und damit um die größte Konzentration von russischen Marinekräften im östlichen Mittelmeer seit Beginn des Syrien-Krieges handeln.
Unter Bezugnahme auf die "absolut unbegründeten Aussagen" in ihrer gemeinsamen Erklärung bezichtigte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums am Sonntag die Dreier-Koalition, sich mit einem fingierten Chemiewaffeneinsatz einen Vorwand für Militärschläge verschaffen zu wollen. Zu diesem Zweck, so Igor Konaschenkow, sei "der US-Zerstörer Sullivans mit 56 Marschflugkörpern an Bord vor einigen Tagen im Persischen Golf eingetroffen, während ein strategischer B-1B Bomber, bewaffnet mit AGM-158 JASSM Luft-Boden-Marschflugkörpern, auf die Al Udeid-Luftwaffenbasis umgruppiert wurde."
Die Aktionen der westlichen Länder zielten entgegen ihren öffentlichen Äußerungen auf eine "weitere dramatische Eskalation der Lage im Nahen Osten und auf eine Störung des Friedensprozesses auf dem Territorium Syriens ab", so der General.
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"Wir warnen Washington vor einer weiteren militärischen Eskapade", hatte tags zuvor der stellvertretende russische Außenminister Sergei Rjabkow gegenüber Bloomberg erklärt. "Wenn die Dinge nicht so laufen, wie die USA und ihre Verbündeten es wollen, dann werden neue Provokationen vorbereitet."
Der Aussage Washingtons, die eigenen Truppen in Fall eines Rückzugs der iranischen Kräfte ebenso abzuziehen, schenkt Rjabkow kein Vertrauen. Die Faktenlage bezeuge "das Gegenteil – Washingtons Wunsch, für einen längeren Zeitraum in Syrien zu bleiben".
Bald russische Atomwaffen in Syrien?
Wie brenzlig die Lage ist, davon zeugt die Tonlage, mit der man in Moskau auf die jüngsten, mit der Skripal-Vergiftung begründeten US-Sanktionen – die neuesten traten diesen Montag in Kraft – zu sprechen kommt.
"Ich glaube, dass Russland jetzt seine eigenen 'roten Linien' ziehen muss. Es ist an der Zeit, um über Varianten asymmetrischer Antworten gegenüber den USA nachzudenken, wie sie gegenwärtig von Experten vorgeschlagen werden und die nicht nur dazu dienen sollen, die Sanktionen abzufedern, sondern auch einen gewissen Vergeltungsschaden anzurichten", sagte der Parlamentsabgeordnete Wladimir Gutenew, Erster stellvertretender Vorsitzender des Duma-Komitees für Wirtschaftsfragen, gegenüber der Nachrichtenagentur TASS. Er brachte gar die Stationierung von Atomwaffen in Syrien ins Spiel:
Wir sehen, dass die Amerikaner jetzt über die Möglichkeit von Sanktionen gegenüber denjenigen Ländern sprechen, die russische Waffen kaufen. Wir sollten dem Rat einiger Experten folgen, die sagen, dass Russland möglicherweise die Umsetzung von Verträgen über die Nichtverbreitung von Raketentechnologien aussetzen sollte, und auch dem Beispiel der USA folgen und damit beginnen sollte, seine taktischen Atomwaffen im Ausland zu stationieren. Es ist möglich, dass Syrien, wo wir über eine gut geschützte Luftwaffenbasis verfügen, eines dieser Länder wird.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigte am Montag die Bereitschaft seines Landes zu Militärschlägen im Falle eines Chemiewaffeneinsatzes in Syrien. Zudem äußerte er seine an Russland und die Türkei gerichtete Erwartung, die syrische Armee von einer Operation in der Provinz Idlib abzuhalten, die er als einen "schrecklichen Fehler" bezeichnete.
Indes gab Militärsprecher Konaschenkow am Montag bekannt, dass mit dem Zerstörer USS Ross ein weiteres US-Kriegsschiff in die Region zur Vorbereitung eines Militärschlags gegen Syrien verlegt worden sei.
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