von Ali Özkök
Die USA haben sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht an die gemeinsame Verantwortung mit Russland im Nahen Osten gehalten. Heute führt Moskau eine alternative Politik zur US-Politik aus, da Washingtons Herangehensweise als unausgewogen einzustufen sei und nicht die Interessen der Völker dieser Region vertrete.
Dies erklärte Andrej Baklanow, der mit RT Deutsch gesprochen hat. Er ist Leiter der Abteilung für internationale Angelegenheiten des Föderationsrates der Russischen Föderalversammlung und hat als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter gedient. Zuletzt diente er als Botschafter in Saudi-Arabien und ist stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Vereinigung russischer Diplomaten. Im Rahmen der Arbeit des Russischen Instituts für Orientalistik unterhält Baklanow auch zahlreiche Kontakte nach Deutschland.
Mit dem Luftkrieg in Syrien ist Russland 2015 erstmals nach Zeiten der Sowjetunion in den Nahen Osten zurückgekehrt. Glauben Sie, dass Moskau wieder als ebenbürtiger Partner zu den USA wahrgenommen wird? Die USA dominieren ja seit den 1990er Jahren die Region.
Ich würde gerne unterstreichen, dass wir nach 1991 und nach der Abkehr von der kommunistischen Ideologie in unserem Land damit gerechnet hatten, dass wir und die Vereinigten Staaten im Nahen Osten das Format einer gemeinsamen Verantwortung einhalten werden, das wir bei der Madrider Konferenz zum Nahen Osten 1991 vereinbart hatten. Wir waren dazu bereit und sind diesen Weg zwei bis drei Jahre lang gegangen.
Nicht durch unsere Schuld haben die USA dieses Format jedoch abgeändert und sind zu einseitigen Handlungen übergegangen, ohne diese mit uns zu abzusprechen. Später wurde dies durch Kampagnen im Irak und in Libyen, die wir als unangemessen und nicht völkerrechtskonform betrachtet haben, weiter verschlimmert. In den letzten Jahrzehnten wurden unsere Politik und die US-Politik wieder als entgegengesetzte, polare Herangehensweisen an die Nahost-Angelegenheiten betrachtet. Das war nicht unser Wunsch, aber so ist es nun einmal. Man kann tatsächlich davon sprechen, dass Moskau derzeit eine alternative Politik zur US-Politik sucht, da wir jene als unausgewogen einstufen, denn sie vertritt nicht die Interessen der Völker dieser Region.
Während die USA zahlreiche offene Konflikte von Afghanistan bis nach Syrien und Libyen eskaliert haben, versucht Russland mit den Astana-Gesprächen unterschiedliche Akteure an einen Tisch zu bringen und an einer Lösungsfindung zu beteiligen. Haben wir es mit einer grundsätzlich inklusiveren Herangehensweise Moskaus im Vergleich zur Nahost-Politik der USA zu tun?
Die Gruppe mit Russland, dem Iran und der Türkei, die sich zur Konfliktlösung in Syrien gebildet hat, ist ein notwendiger Schritt, der damit zu tun hat, dass sich jene Formate, die in solchen Fällen eigentlich funktionieren sollten – der Sicherheitsrat, die UNO allgemein, das gemeinsame russisch-amerikanische Format, das Nahost-Quartett mit Russland, USA, Europa und der UNO – in den Angelegenheiten Syriens leider letztlich als unwirksam erwiesen hatten. Unter diesen Umständen bildeten wir neue, temporäre Plattformen. Das zeugt davon, dass unsere Herangehensweise tatsächlich offener ist. Sie berücksichtigt die realen Möglichkeiten. Und wir versuchen, flexibel auf Situationen zu reagieren, die im Nahen Osten entstehen.
Die USA unterhalten mehrere Militärbasen auf dem Gebiet der sogenannten Demokratischen Kräfte Syriens. Glauben Sie, die USA werden permanent auf dem Gebiet bleiben?
Was die Militärbasen angeht, so finden wir, dass diese einen absolut illegalen Charakter aufweisen. Wir halten die derzeitige syrische Regierung unter Baschar al-Assad für eine legitime Regierung. Er wurde im Jahr 2014 wiedergewählt. Wir haben eine Gruppe mit unseren Beobachtern dorthin geschickt, und ich sprach mit ihr, als sie zurückkam. Die Beobachter hatten einen ziemlich guten Eindruck davon, wie die Wahlen verliefen. Das Regime von Baschar al-Assad besteht für uns absolut rechtmäßig. Deshalb ist es gesetzeswidrig, Streitkräfte in das Gebiet eines unabhängigen Staates, eines UN-Mitglieds zu entsenden, ohne die Zustimmung der souveränen Regierung eingeholt zu haben. Wir fordern die US-Amerikaner deshalb auf, ihre unrechtmäßigen Stützpunkte dort zu räumen.
Wie wird sich das Verhältnis zwischen der kurdischen YPG und Damaskus gestalten?
Wir finden, dass die Kurden einen strategischen Fehler begangen haben, als sie ihre Bindung an die US-Amerikaner vertieften. Gleichzeitig finden wir, dass sowohl das herrschende Regime als auch die Kurden viele Fehler machten und eine goldene Chance verpassten, die es vor vier oder viereinhalb Jahren gegeben hätte. Als der Kampf gegen den IS begann, hätte man sich auf eine gemeinsame Zukunft, auf die künftige Staatsordnung einigen können. Diese Chance wurde nicht genutzt. Daher ist die Lage in dieser Region derzeit so instabil und die Zukunft ist ungewiss.
Glauben Sie, dass das Astana-Format mit dem Iran und der Türkei auch über die Grenzen von Syrien hinaus eine regionale Rolle spielen könnte?
Dieses Format wurde genau dafür geschaffen, um die Situation in Syrien zu entwirren. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es für andere Regionen passend ist. Die Länder unterscheiden sich sehr. Sie gehören zu verschiedenen Gruppen. Sollte es notwendig sein, könnte so eine Vereinigung entstehen. Aber jetzt ist das ein temporäres Bündnis von Staaten, um die dringendsten Probleme in der politisch-militärischen Lage Syriens zu lösen.
Kritiker vermuten, dass die Türkei auf Dauer keine ernsthaften Konflikte mit dem Westen haben wird und daher letztlich immer eine Gefahr für Russlands Südflanke bleiben würde. Wie bewerten Sie den derzeitigen Konflikt der Türkei mit verschiedenen NATO-Staaten?
Das Verhältnis der Türkei mit den NATO-Staaten hat sich zeitweise verschärft, dennoch ist die Türkei noch immer NATO-Mitglied. Wir halten die NATO für einen militärpolitischen Gegner und sind daher von der NATO-Mitgliedschaft der Türkei nicht begeistert. Wir ziehen deshalb daraus alle entsprechend notwendigen politischen Schlussfolgerungen. Ich denke, das Verhältnis der Türkei zu den [west-]europäischen Ländern wird wiederhergestellt sein, wenn die [west-]europäischen Länder die Forderungen Ankaras stärker berücksichtigen. Grundsätzlich sind wir nicht dagegen, denn es ist umso besser für uns, je stabiler die Lage an unseren Grenzen ist – sowohl entlang der südlichen als auch der westlichen Grenze.
In Russland lebt eine große muslimische Minderheit mit rund 25 Millionen Menschen. Inwiefern trägt dieser Umstand zu einem besonderen Verhältnis Russlands zu den muslimischen Staaten im Nahen Osten bei?
Dieser Umstand trägt eine Menge dazu bei, da Muslime ein historischer Teil unseres kulturellen Erbes sind, wie Präsident Putin es schon sagte. Sie sind ein unentbehrlicher Teil unserer Gesellschaft. Wir verstehen die islamische Welt sehr gut. Seit 2005 sind wir Beobachter in der Organisation für Islamische Zusammenarbeit. Ich nahm als Botschafter in Saudi-Arabien an den Debatten teil, die zu diesem Beitritt führten. Im Jahr 2005 organisierte Saudi-Arabien in Dschidda eine spezielle Besprechung, bei der ich aufgetreten bin und unseren Standpunkt vertreten habe. Das Argument der über 25 Millionen Anhänger des Islam wurde dort sehr positiv aufgenommen und spielte eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung über unseren Beitritt in die Organisation für Islamische Zusammenarbeit. Das ist also ein sehr wichtiger Faktor.
2015 hat eine von Saudi-Arabien geführte Koalition im Jemen eine Offensive gestartet. Die Huthi-Rebellen scheinen aber immer noch handlungsfähig. Haben sich die Saudis im Jemen verrannt?
Es geht nicht allein um Huthi-Rebellen, sondern darum, dass in Jemen im Laufe von vielen Jahrzehnten der interne Kampf wie auch die Konflikte zwischen dem Norden und Süden sowie zwischen anderen ethnischen Gruppen nie wirklich erloschen sind. Nach 2015 kamen neue Umstände hinzu.
Was Saudi-Arabien betrifft, so haben sein erhöhtes Engagement und seine Nervosität damit zu tun, dass die Schiiten die Mehrheit der Bevölkerung in seiner Ostprovinz ausmachen, wo fast 100 Prozent des saudischen Erdöls gewonnen werden. Sie hatten befürchtet, dass an der Grenze zum Jemen – einer sehr langen Grenze – von den Huthi-Rebellen bestimmte Elemente Einfluss gewinnen könnten, die das Leben in der Ostprovinz instabil machen. Daher haben sie nicht nur politische, sondern auch militärische Maßnahmen ergriffen.
Wir finden, dass es ein strategischer Fehler war, dass man diese Situation anders hätte lösen müssen. Ich denke, die Zukunft liegt in einem Diskussions-Format, da die Kämpfer im Jemen sehr beharrlich sind und ihre Waffen nicht niederlegen werden, bis ein gemeinsamer Kompromiss erreicht sein wird.
Zur Zusammenarbeit von Baklanow mit deutschen Akademikern und Diplomaten:
Diesen Herbst werden wir den 200. Geburtstag des Institutes für Orientalistik feiern. Im Laufe dieser 200 Jahre hatten wir, was die europäischen Ländern betrifft, wohl mit niemandem so gute und enge wissenschaftliche Beziehungen wie mit Deutschland. Wir haben eine sehr hohe Meinung von der deutschen Orientalistik-Schule. In einer Reihe von Wissenschaftsbereichen, wie die Geschichte der Kopten, steht die deutsche Orientalistik klar an erster Stelle. Was meine persönlichen Erfahrungen betrifft, so sind sie auch sehr positiv. Da kann ich ein paar Beispiele erwähnen:
Im Jahr 1993 gab es in Kairo ein großes Treffen unter der Schirmherrschaft der Sozialdemokratische Partei Deutschlands, den Vorsitz hatte der bekannte deutsche Politiker Hans-Jürgen Wischnewski. Genau bei diesem Treffen schlug Wischnewski vor, sich dem US-amerikanischen und dem russischen Sponsoring zu öffnen. Ein paar Jahre später ist daraus das Nahost-Quartett entstanden. Ich erinnere mich mit viel Freude an die Treffen mit Wischnewski und kann sagen, dass seine Autorität bei diesem internationalen Forum grenzenlos war. Was die Ebene der Botschaften angeht, so will ich den deutschen Botschafter Harald Kindermann in Saudi-Arabien erwähnen. Er war sehr aktiv, wusste sehr viel. Wir haben damals bei der Terrorbekämpfung sehr gut zusammengearbeitet. Unsere Treffen wurden sowohl in Berlin als auch in Moskau sehr gut aufgenommen.
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