Im Mittleren Osten wird seit Tausenden von Jahren Weltgeschichte geschrieben. Die "Wiege der Zivilisation" wurde lange Zeit in Mesopotamien, dem heutigen Irak, vermutet, und die erste Supermacht der menschlichen Geschichte wurde von den Persern errichtet. In Palästina legte ein jüdischer Schreiner und späterer Wanderprediger den Grundstein für eine neue Weltreligion, dem Christentum, genauso wie 600 Jahre später auf der Arabischen Halbinsel ein eingeheirateter Kaufmann eine weitere Weltreligion stiftete.
Aber auch im 20. und 21. Jahrhundert beschäftigt der Mittlere Osten die große Bühne der Weltpolitik. Ob es der 100-jährige Konflikt zwischen Zionismus und arabischem Nationalismus, europäischer Kolonialismus oder Kriege um Ressourcen wie Öl und Gas sind, die Region wirkt geradezu wie ein Magnet für tragische Entwicklungen, die die ganze Welt beschäftigen. Im Fokus der Weltpolitik stand in den letzten Jahren der Krieg in Syrien und das unter Beteiligung von sechs Ländern mühsam ausgehandelte Atomabkommen mit dem Iran.
Während sich der Stellvertreterkrieg in Syrien immer mehr zugunsten des rechtmäßigen Regierung von Präsident Baschar al-Assad entwickelt, und die zahlreichen, von verschiedenen ausländischen Regierungen unterstützten sunnitisch/-wahhabitischen Extremisten mit Unterstützung von Moskau und Teheran besiegt werden, steht das Atomabkommen, nach dem Rückzug der USA daraus, auf der Kippe.
Dazu kommt noch die Forderung Russlands, dass sämtliche ausländische Truppen Syrien verlassen müssen, um der Möglichkeit eines politischen Aussöhnungsprozesses eine Chance zu geben. Diese Forderung wurde zuerst vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angesprochen, als Assad Mitte Mai zu einem überraschenden Besuch nach Sotschi kam, und wurde später durch Alexander Lawrentiew, dem russischen Sondergesandten für Syrien, explizit bestätigt. Demnach müssten laut der russischen Regierung
… alle ausländischen militärischen Einheiten, die auf dem Territorium von Syrien sind (abziehen). Das sind insbesondere Amerikaner, Türken und natürlich die Hisbollah und die Iraner."
Berater des iranischen Außenministeriums im Gespräch mit RT Deutsch zur Syrien-Politik
Dazu befragte RT Deutsch Dr. Alireza Salari. Er war von 2010 bis 2016 Botschafter der Islamischen Republik Iran in der Schweiz und ist gegenwärtig Berater des Außenministeriums in Teheran. Auf die Frage, wie die Regierung in Teheran die russische Forderung nach einem Rückzug des Irans aus Syrien bewertet, antwortete Salari:
Es ist auch eine Forderung der Islamischen Republik Iran, dass die gesamte illegitime Präsenz in Syrien beendet wird. Die Iraner und Russen wurden von der syrischen Regierung eingeladen und werden dort bis zum Ende dieses ungerechten Krieges bleiben, der dem syrischen Volk auferlegt wurde."
Damit machte der Berater klar, dass sich die iranische Regierung nicht von Moskau vorschreiben lassen wird, ihre Truppen aus Syrien abzuziehen. Ob Teheran überhaupt einen Abzug erwägt beziehungsweise unter welchen Umständen man dazu bereit wäre, meinte er:
Sobald die syrische Regierung die Situation für sicher und angebracht einstuft."
Dr. Alireza Salari machte somit auch einen Schlussstrich unter die unterschiedlichen Berichte, ob oder ob nicht iranische Truppen in Syrien aktiv sind. Sie sind da, nur welche und wie viele konnte oder wollte er nicht näher erläutern und meinte, dass er es "nicht exakt weiß." Was denn aber das Ziel der iranischen Regierung in Syrien ist, wusste Salari sehr wohl zu beantworten:
Dem syrischen Volk Stabilität und Frieden zu bringen und sie vor satanischen Intrigen zu beschützen. Die Mehrheit in der Region sind Schiiten, und somit gibt es gar keinen Grund, etwas aufzubauen, was schon seit hunderten von Jahren entstanden ist. Im Gegenteil dazu versuchen die Wahhabiten, die eine absolute Minderheit im Mittleren Osten sind, und ihre Herren, dieses Faktum rückgängig zu machen und (dabei) eine ganze Region mit der Sichel des Extremismus massakrieren."
Damit bezog sich der Berater des iranischen Außenministeriums auf eine Frage, wie er die Anschuldigung von westlichen und arabischen Analysten, Kommentatoren und Politikern beurteilt, dass der Iran nach einem "schiitischen Halbmond" im Mittleren Osten strebe. Er sieht auch keine divergierenden Interessen zwischen Teheran und Moskau in der Region, trotz der Forderung Russlands, dass sich der Iran aus Syrien zurückziehen soll und der größeren werdenden antirussischen Stimmung im eigenen Land.
Ich sehe nicht so eine Situation am Horizont und ich denke, dass beide Länder gemeinsame Ziele und Strategien in der Region verfolgen und zu diesem Zweck Märtyrer erzeugt haben."
EU bleibt dem Atomabkommen mit dem Iran verpflichtet
Am Freitag traf sich auf Wunsch der iranischen Regierung die "Joint Commission" der unterzeichnenden Länder des Atomabkommens in Wien zusammen, um über die Zukunft des Abkommens zu sprechen. Nach dem Rückzug der US-Amerikaner, trotz einer Resolution des UN-Sicherheitsrates, welche das Abkommen für alle Unterschriftsparteien bindend machte, waren sich die Europäer einig, auch ohne Washington am "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) festzuhalten. Doch die anfängliche Selbstsicherheit der Europäer ist schnell verflogen, nachdem Washington massiven Druck mit der Drohung ausgeübt hatte, jedem Unternehmen, das Geschäfte mit dem Iran betreibt, den Zugang zum US-amerikanischen Markt zu verschließen.
Umso bemerkenswerter ist nun das Abschlusscommuniqué der restlichen Vertragspartner nach dem Treffen in Wien, dass man trotz allem am Atomabkommen und den daraus resultierenden Folgen festhalten möchte. Es wurde auch explizit in das Communiqué aufgenommen, dass die Vertragsparteien "weitere wirtschaftliche" Beziehungen mit dem Iran beibehalten und ausbauen wollen; die "effektiven Finanzkanäle" nach Teheran ebenfalls pflegen und beibehalten möchte; auch weiterhin iranisches Öl, Gas und petrochemische Produkte beziehen will; schlicht und ergreifend man dort weitermachen möchte, wo man vor dem Rückzieher der Vereinigten Staaten von Amerika stand.
Die Realität sieht aber anders aus. Obwohl auch der Seetransport von und nach dem Iran besprochen und die Sicherheit für die iranische Teilnahme vereinbart wurde, ließ der französische Reederei-Gigant CMA CGM nur zwei Tage nach dem Treffen der Minister in Wien verlauten, dass man sich aus dem Iran-Geschäft aufgrund der amerikanischen Drohungen zurückziehen werde. Indien, das noch im Mai 26,11 Prozent (705.000 Barrel pro Tag) vom gesamten iranischen Ölexport eingeführt hatte, und damit der zweitgrößte Abnehmer war, wird auf Geheiß der USA bis zur Deadline am 4. November 2018 diesen Anteil auf null reduzieren. Südkorea, ein weiterer großer Abnehmer von iranischem Öl, wird Berichten zufolge diesen Schritt bereits in diesem Monat vollziehen.
Angesprochen auf diese aus iranischer Sicht höchst unerfreuliche Entwicklung, antwortete Dr. Alireza Salari, Berater im iranischen Außenministerium:
Auf lange Sicht hinaus kann sich kein Land den einseitigen Launen der USA beugen, und selbst wenn sie es tun, ist es nicht der Iran, der verliert, sondern diejenigen, die die Welt mit Ungerechtigkeit und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschmieren."
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