Syrien: CDU/CSU fordern umgehenden Stopp der Antiterror-Offensive in Daraa

Same procedure as everytime: Sobald eine strategische Niederlage von Dschihadisten in Syrien bevorsteht, wollen CDU und CSU ihre humanitäre Stimme vernommen haben und zeigen sich von Russland "schockiert". Diesmal geht es um die aktuelle Offensive in Daraa.

Nachdem syrische Truppen und deren Verbündete auf dem Boden in jüngster Zeit mit russischer Luftunterstützung bereits mehrfach im Süden und Südwesten des Landes ein Aufbäumen radikal-sunnitischer Truppen vereitelt hatten, hat vor zwei Wochen die Offensive auf die letzte Hochburg der Dschihadisten in Daraa begonnen. Diese gilt als heikel, da die USA in der Nähe der Region an der syrisch-irakischen Grenze eine Kontrollzone eingerichtet hatten, mit At-Tanf als Hauptquartier der US-Streitkräfte, und deshalb Zusammenstöße mit den Regierungstruppen jederzeit zu befürchten sind.

Die Maghawrir al-Thawra (Revolutionäre Kommando Armee), welche sich aus Kämpfern der sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA) und anderen Dschihadistengruppierungen wie ISIS rekrutierte, wollte diese Situation offenbar für sich nutzen, um Teile dieser strategisch wichtigen Zone zu erobern.

USA wollen syrische Kontrolle über At-Tanf nicht akzeptieren

Nachdem syrische Truppen dann auch tatsächlich unter heftiges Bombardement vonseiten der U.S. Air Force und Artillerie geraten waren, wurde klar, dass Washington nicht der jüngsten Offerte von Präsident Baschar al-Assad entsprechen würde, die At-Tanf-Basis an Syrien zurückzugeben, derweil im Gegenzug Truppen der Iraner und Hezbollah aus Daraa herausgehalten werden sollten. Deshalb verlegte Russland ohne großes öffentliches Aufsehen tausende Soldaten der Infanterie und Sondereinheiten nach Palmyra, um von dieser uralten Stadt heraus an der Befreiung Daraas von Dschihadisten mitzuwirken.

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gefällt diese Entwicklung ganz und gar nicht und er ließ dazu eine Pressemitteilung veröffentlichen:  

Die Situation in Daraa wird immer dramatischer, die humanitäre Lage, insbesondere für Frauen und Kinder, immer katastrophaler. Mit seinem skrupellosen Vorgehen gegen regimekritische Kräfte in der Region zeigt Syriens Machthaber Assad einmal mehr, dass es ihm nie wirklich darum ging, eine politische Lösung zur nachhaltigen Stabilisierung Syriens zu erreichen. Vielmehr setzt er auf eine brutale militärische Strategie, um die Opposition in die Knie zu zwingen. Dies ist ganz klar völkerrechtswidrig, denn massenhaft Unbeteiligte werden zu Opfern.

Dass der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun plötzlich seine humanitäre Stimme angesichts der tatsächlich prekären Situation für Tausende von Menschen vernimmt, ehrt ihn natürlich. Allerdings schwingt auch ein schaler Beigeschmack mit, da er gleichzeitig die weit verbreitete Sorge um die humanitäre Situation der Menschen im Jemen nicht teilt, wo Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate einen Luftkrieg gegen die proiranischen Huthi-Milizen führen und es in weiterer Folge immer wieder zu Dutzenden Todesopfern unter der Zivilbevölkerung kommt. Von der Seeblockade und der daraus resultierenden Hungersnot gar nicht erst zu sprechen.

Aber das sind alles Nebenschauplätze für Jürgen Hardt, der in der Pressemitteilung klarmacht, worum es ihm eigentlich in Wirklichkeit geht:

Es ist schockierend, dass sich Russland im Windschatten der Fußball-Weltmeisterschaft an diesem rücksichtslosen Vorgehen beteiligt und Assad Rückendeckung gibt. Die freundliche Stimmung im Gastgeberland der Fußball-WM soll offenbar über die militärische Aktion hinwegtäuschen.

Da haben wir es also. Es geht ihm gar nicht so sehr um die humanitäre Lage in Syrien, sondern um Russland. Er ist sich auch nicht zu schade, die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland zu politisieren, als ob Moskau erst seit Anpfiff der WM in Syrien involviert wäre. Und natürlich trägt Russland laut Herrn Hardt "durch seine militärische und politische Unterstützung für Assad maßgeblich Verantwortung für die Vielzahl an unschuldigen Opfern in Syrien". Wie könnte es denn auch anders sein?

Auf jeden Fall sehen es deutsche Leitmedien ähnlich wie der außenpolitische Sprecher. Mit Headlines wie "Assads grausame Sommeroffensive" oder "Für seinen Terror in Syrien hat Putin einen Freibrief des Westens" machen auch sie klar, wie sie diese Offensive einordnen.

Vorgehen gegen IS und Al-Nusra ist expliziter Auftrag des UN-Sicherheitsrats

Was Herr Hardt und all die Redakteure aber nicht berücksichtigen - ob aus Unwissen oder Ignoranz, sei mal dahingestellt -, ist die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates vom 18. Dezember 2015. Das ausdrückliche Ziel dieser Resolution war es, die "Rückzugsorte von ISIS, der Al-Nusra-Front und allen anderen Individuen, Gruppen, Unternehmen und Entitäten, die mit Al-Kaida oder ISIS assoziiert sind, auszumerzen".

Und genau dieses Ziel verfolgen Syrien und dessen Verbündete, allen voran Russland. Es ist bekannt, dass es im Süden von Daraa noch Reste des sogenannten Islamischen Staates (IS) gibt und dass sich in der stärksten Rebellenfraktion in Daraa, der sogenannten Freien Syrischen Armee (FSA), zahlreiche Dschihadisten von Al-Nusra und IS tummeln, die seit der Zerschlagung ihrer Kontrolle über große Landstriche das Weite gesucht hatten.

Wie diese Tatsache mit der Pressemitteilung des MdB Jürgen Hardt der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusammenpasst, wonach es sich wohlgemerkt bei der Offensive zur Rückeroberung von syrischem Staatsgebiet um ein "ganz klar völkerrechtswidriges" Vorgehen handelt, bleibt unklar. Auf Nachfrage von RT Deutsch lag bis Redaktionsschluss keine Antwort vor.

Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Regierungspartei von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Beurteilung der Frage, wann es sich bei einem Sachverhalt um eine humanitäre Katastrophe oder um ein völkerrechtswidriges Vorgehen handelt, mit zweierlei Maß misst. Solange sich das, was man den Russen und Syrern vorwirft, in gleicher Weise in den von Deutschlands westlichen Partnern kontrollierten Gebieten abspielt, ist es ganz offensichtlich nicht so schwerwiegend, als dass es einer Pressemitteilung bedürfte. Oder hat jemand bei der CDU/CSU jemals etwas zu den schrecklichen Verhältnissen im Flüchtlingscamp "Rukban" gehört?

Tausende Menschen, Flüchtlinge aus verschiedenen Gebieten Syriens, sind seit Monaten in Rukban gefangen. Sie alle wollten nach Jordanien fliehen und blieben in der Wüste an der syrisch-jordanischen Grenze stecken, weil Jordanien die Grenzen dichtgemacht hatte. Die Situation verschlimmerte sich durch die Ankunft von tausenden von der wahhabitischen Ideologie inspirierten Dschihadisten, die im sogenannten Islamischen Staat ihre Berufung fanden und diese auch der Bevölkerung aufzwingen wollten. Diejenigen, die diese Herrschaft ablehnten, flohen in den Libanon, nach Jordanien und die Türkei. Und so landeten eben auch viele von ihnen in Rukban.

Erschreckende Zustände im Flüchtlingslager

Offizielle Zahlen über die Anzahl an Menschen in diesem Flüchtlingslager gibt es nicht, aber Schätzungen zufolge handelt es sich um etwa 50.000 Personen, wovon 75 bis 80 Prozent Frauen und Kinder sein sollen. Die Verhältnisse in dem Lager sind so schlecht, dass sogar die Dschihadisten, die die Kontrolle über das Lager übernommen hatten, es als "Dschungel" bezeichnen. Angesichts der zahlreichen Unterbrechungen der Wasserleitung aus Jordanien verlangen sie von den "Bewohnern" des Lagers nun Geld, um ihnen Wasser aus nahegelegenen Quellen zu bringen. Was das bei der mörderischen Hitze in der Wüste für Auswirkungen auf den psychischen und physischen Zustand der Menschen hat, muss bestimmt nicht näher erläutert werden.

Dazu kommt, dass nach der Eroberung von At-Tanf im Jahr 2016 durch US-amerikanische, britische und norwegische Spezialeinheiten diese "Koalition der Willigen" in unmittelbare Nachbarschaft zu diesem Flüchtlingslager gelangte. Nachdem die USA ihre 55-Kilometer-Perimeterzone ausgerufen hatten, fiele Rubkan eigentlich auch in deren Zuständigkeitsbereich. Aber niemand aus dieser Koalition fühlte sich für die tausenden Menschen in dem Lager zuständig.

Die USA, die ihre Präsenz in der Region ebenfalls mit dem Kampf gegen den IS begründen, sehen es offenbar nicht als Teil ihrer Mission an, die in der von ihr ausgerufenen Kontrollzone gestrandeten Menschen zu versorgen. Anfang des Jahres hatte sich Jordanien gegenüber der UNO bereit erklärt, die humanitäre Versorgung des Lagers zu übernehmen. Kritiker meinen jedoch, dies wäre es im Wege einer Analogie zu den völkerrechtlichen Lehren zum Besatzungsrecht sehr wohl Pflicht der USA, da deren Präsenz und Perimeterzone einer solchen Besatzung gleichkäme. Doch das alles scheint für die CDU/CSU nicht so wichtig und schien genauso wenig Grund zur humanitären Besorgnis gewesen zu sein.

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