Vor genau dreißig Jahren ereignete sich eine der größten Tragödien in der Luftfahrtgeschichte, die zugleich eines der blutigsten Kapitel während des Ersten Golfkrieges zwischen dem Irak und dem Iran schrieb: Am 3. Juli 1988 schoss die US-Marine ein iranisches Passagierflugzeug über dem Persischen Golf ab. Alle 290 Insassen, darunter 66 Kinder, wurden dabei getötet.
Es war die USS Vincennes, die die tödlichen Raketen auf Flug 655 abfeuerte. Der US-Kreuzer befand sich zu dieser Zeit in iranischen Hoheitsgewässern, wo er sich Gefechte mit iranischen Kanonenbooten lieferte. Teheran sprach anschließend von einem „barbarischen Akt“ und bezichtigte die USA, den Airbus 300 in dem vollen Bewusstsein abgeschossen zu haben, dass es sich um eine Passagiermaschine handelte. Washington wies den Vorwurf zurück. Der damalige US-Präsident Ronald Reagan sprach von einer „großen Tragödie“, bei der es sich aber um einen „verständlichen Unfall“ gehandelt habe.
Wie es dazu kommen konnte, zeichnet Wikipedia folgendermaßen nach:
Der Airbus wurde durch eine automatische Anfrage der Vincennes beim Transponder der Linienmaschine als Zivilflugzeug erkannt, jedoch identifizierte das Aegis-Kampfsystem der Vincennes eine F-14 Tomcat. Die Besatzung der Vincennes entschied sich, der Meldung des Aegis-Systems zu glauben. Nach Angaben der USA wurden sieben Warnungen auf verschiedenen militärischen Frequenzen an das Flugzeug gesendet, doch die vermutete Tomcat antwortete nicht. Auf der zivilen Notfunkfrequenz seien drei Kontaktversuche unternommen worden, wobei sich die iranische Besatzung nicht angesprochen fühlte, da sie im Cockpit eine andere Geschwindigkeit ablas als das von der USS Vincennes angerufene ‚unidentifizierte iranische Flugzeug‘. David Carlson, Kommandant eines weiteren, in der Nähe befindlichen amerikanischen Kriegsschiffs, sagte, dass er sich wunderte, als die Vincennes ihre Absicht ankündigte, ein Flugzeug anzugreifen, bei welchem es sich eindeutig um eine zivile Linienmaschine handelte.
Teheran wartet noch immer auf eine Entschuldigung
Auch nach drei Jahrzehnten ist der Vorfall im Bewusstsein der Iraner noch immer lebendig. So sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums Bahram Ghasemi laut Associated Press anlässlich des Jahrestages:
Dieses abscheuliche Verbrechen wird im Gedächtnis der großen und tapferen Menschen dieses Landes verankert bleiben und nie vergessen werden.
Vor allem empört es die Iraner, dass Washington sich für den Abschuss noch immer nicht entschuldigt oder die formelle Verantwortung dafür übernommen hat – obwohl beide Seiten acht Jahre später in einem Vergleich vor dem Internationalen Gerichtshof übereinkamen, dass die USA eine Entschädigung an die Hinterbliebenen der Todesopfer in Höhe von rund 62 Millionen US-Dollar zahlen. Im Gegenzug nahm der Iran seine Klage vor dem Gerichtshof zurück.
Doch Verantwortliche für den Vorfall wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Der Kapitän der USS Vincennes erhielt 1990 vom damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush die „Legion of Merit“, eine hohe Auszeichnung des US-Militärs. William Rogers wurde die Auszeichnung für sein „außergewöhnlich verdienstvolles Verhalten bei der Verrichtung herausragender Leistungen als kommandierender Offizier [der USS Vincennes] zwischen April 1987 und May 1989“ verliehen. Der Lieutenant Commander Scott Lustig, der die Waffensystems der USS Vincennes an jenem 3. Juli 1988 kommandierte, erhielt ebenfalls den Verdienstorden.
An diesen zweifelhaften Vorgang erinnerte der iranische Außenminister am Dienstag in einem Tweet. Mohammed Dschawad Sarif schrieb:
3. Juli 1988: Die USA schießen eine iranische Passagiermaschine ab, töten 290 Menschen. Der Übeltäter bekommt einen Orden statt eine Bestrafung.
In dem Tweet kritisierte Sarif zudem, dass die im Rahmen des Atomabkommens erfolgte Zusage der USA bezüglich der Lieferung von Passagiermaschinen zwei Jahre später zurückgenommen worden sei. „Klares Ziel: Zivilisten“, schloss der Minister seinen Tweet ab.
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Kritik am „aggressiven“ Kapitän auch aus den eigenen Reihen
Kritik an der Vorgehensweise von Kapitän Rogers gab es allerdings auch aus den eigenen Reihen. So zitiert Robert Fisk in seinem Buch „The Great War for Civilisation – The Conquest of the Middle East“ den Kommandeur der Fregatte USS Sides, die sich zur Zeit des Vorfalls unter dem taktischen Kommando von Rogers befand. Laut David Carlson sei Rogers grundsätzlich überaus aggressiv vorgegangen, der Abschuss von Flug 655 sei nur „der schreckliche Höhepunkt der Aggressivität von Kapitän Rogers“ gewesen.
Von einem „übereifrigen Kapitän“ mit einem Hang zur unnötigen Konfrontation sprachen die beiden US-Journalisten John Barry und Roger Charles. In ihrem Newsweek-Artikel aus dem Jahr 1992 – veröffentlicht unter dem bezeichnenden Titel „Meer der Lügen“ – warfen sie der US-Regierung zudem vor, den wahren Sachverhalt zu vertuschen.
Von einem „grausamen Verbrechen“ sprach laut der iranischen Nachrichtenagentur Fars News das iranische Außenministerium am Montag in einer Stellungnahme. Weiter heißt es darin:
Ein Blick auf das vorherrschende unmenschliche Verhalten der USA, das sich in Massakern an unschuldigen Menschen auf der ganzen Welt manifestiert, einschließlich der geschädigten Menschen im Iran, zeigt, dass eine solche Haltung von verschiedenen US-Regierungen bei der Verfolgung eigener Ziele institutionalisiert wurde.
Was auch immer die tatsächlichen Abläufe betrifft, die zum Abschuss von Flug 655 führten, eins steht in jedem Fall fest: Das Ereignis belastet weiter die ohnehin angespannten Beziehungen beider Länder.
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