Türkei-Wahlen: Erdoğan gewinnt - HDP zieht erneut ins Parlament

Der amtierende türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich die Führung bei den Wahlen gesichert. Erdoğan sichert sich die zweite Amtszeit in Folge. Die pro-kurdische HDP rückte ins Parlament ein.

Nach rund 95 Prozent der ausgezählten Stimmen ist deutlich geworden, dass Recep Tayyip Erdoğan der Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht mehr genommen werden kann. In beiden Wahlgängen gewann der Präsident mit einer absoluten Mehrheit.

Bei der Abstimmung zum Präsidentenamt sicherte sich das Staatsoberhaupt 52,7 Prozent der Stimmen. Muharrem Ince von der größten Oppositionspartei, der kemalistischen CHP, folgte mit 30,7 Prozent. Auf die Plätze drei und vier kamen die Kandidaten Selahattin Demirtas von der links-kurdischen Partei HDP mit 8,1 Prozent bzw. Meral Aksener von der nationalistischen IYI Partei mit 7,4 Prozent.

Im Rahmen der Parlamentswahlen trat die AKP gemeinsam mit der größten nationalistischen Partei MHP in einem Wahlbündnis an. Die „Volksallianz“ gewann 53,7 Prozent. Der Präsident musste sich mehr als 50 Prozent der Stimmen für einen Gesamtsieg sichern. Hätte er diese Schwelle nicht erreicht, würde am achten Juli eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen stattfinden.

Die AKP selbst kam auf 293 Parlamentssitze und könnte alleine nicht regieren. Dafür bedarf es zumindest die Hälfte der insgesamt 600 Sitze. Die nationalistische MHP sorgte mit 49 gewonnenen Sitzen dafür, dass Erdoğans konservativ-nationalistische Allianz problemlos über 50-Prozent-Schwelle kommt.   

Das Wahlallianz „Bündnis der Nation“, bestehend aus CHP, IYI Partei und Saadet, gewann 34,16 Prozent. Bemerkenswert ist der Sieg der pro-kurdischen HDP unter ihrem inhaftierten Führer Selahattin Demirtas. Vor allem wichtige Stimmen aus Istanbul ermöglichten der Partei, dass sie den Sprung über die Wahlhürde von zehn Prozent schaffte, was die gesamte Wahlarithmetik teilweise zu Ungunsten der AKP beeinflusste.

„Das türkische Volk hat Erdoğan zum ersten Präsidenten der Türkei unter dem neuen System gewählt“, feierte der Sprecher der türkischen Regierung, Bekir Bozdag, das Resultat, als hundert Prozent der Stimmen noch nicht ausgezählt waren.

„Unser Volk hat uns die Aufgabe übertragen, die Präsidentschafts- und Exekutivposten zu besetzen", sagte Präsident Erdoğan später bei seiner Wahlsieg-Rede in Istanbul.

Ich hoffe, niemand wird versuchen, einen Schatten auf die Ergebnisse zu werfen und der Demokratie zu schaden, um sein eigenes Versagen zu verbergen.“

Zur Rede des Staatsführers anlässlich des Wahlsieges versammelten sich tausende Anhänger der AKP und MHP auf den Straßen türkischer Städte.

Auf der anderen Seite gab es vereinzelt auch Proteste in Antalya gegen das Wahlergebnis.

Andernorts in Ankara versammelte sich eine kleinere Menschenmenge vor dem Gebäude des Hohen Wahlausschusses YSK, der obersten Wahlbehörde der Türkei.

Die heutige Wahl ist die erste seit der Umstellung der Türkei auf ein Präsidialsystem nach dem Verfassungsreferendum vom April 2017. Die Volksabstimmung spaltete die türkische Gesellschaft in zwei Hälften, als das Änderungspaket mit einem knappen Vorsprung von 52 Prozent der Stimmen angenommen wurde.

Der Sieg ermöglicht es Erdoğan nun, seine politische Macht weiter zu konsolidieren und Verfassungsreformen umzusetzen. Zu den Befugnissen gehören die Möglichkeit, Kabinettsmitglieder von außerhalb der Legislative auszuwählen, Gesetze per Dekret zu erlassen, im Alleingang den Ausnahmezustand auszurufen und außerordentliche Wahlen einzuleiten. Türkische Politikwissenschaftler vergleichen die Kompetenzen allerdings gerne mit denen der Staatsoberhäupter Frankreichs oder der USA. Auch das Amt des Premierministers soll abgeschafft werden.

Die türkische Opposition sieht derartige Veränderungen als Machtergreifung. Erdoğans engster Konkurrent, Ince, schwor, dass er bei einem Wahlsieg den andauernden Ausnahmezustand innerhalb von 48 Stunden aufheben und danach alle Verfassungsreformen rückgängig machen würde. Auch Minister der AKP machten die Aufhebung des Ausnahmezustands zum Wahlversprechen. Erdoğan widerspricht den Ansichten der Opposition und sagt:

Die Türkei führt eine demokratische Revolution durch. Mit dem Präsidialsystem hebt die Türkei die Messlatte ernsthaft an."

Die drastischen Veränderungen im politischen System der Türkei folgten einem vereitelten Putschversuch im Juli 2016. Erdoğan beschuldigte den im US-amerikanischen Exil lebenden Kleriker Fethullah Gülen, den Putsch orchestriert zu haben.

Nach dem gescheiterten Staatsstreich befindet sich die Türkei seit fast zwei Jahren im Ausnahmezustand und hat ein weitreichendes Vorgehen gegen mutmaßliche Anhänger von Gülen durchgemacht. Zehntausende Menschen wurden festgenommen, Tausende von Beamten und Soldaten wurden entlassen.