Eine Analyse des RT-Teams
Der selbst ernannte syrische Präsident Ahmed al-Scharaa besuchte am Montag Washington, wo er im Weißen Haus Gespräche mit US-Präsident Donald Trump führte und sich mit hochrangigen Vertretern des Internationalen Währungsfonds (IWF) traf.
Während seiner Reise erreichte der syrische Machthaber eine weitere Verlängerung der Aussetzung der Anfang des Jahres gemäß dem Caesar Act verhängten US-Sanktionen. Zudem trat er mit seinem Land Washingtons "Anti-IS"-Koalition in Syrien formell bei.
Syriens Außenpolitik orientiert sich seit der Machtübernahme der Islamisten gen Westen. Ahmed al-Scharaa war der erste "Präsident Syriens" seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1946, der zu einem Staatsbesuch nach Washington eingeladen wurde. Der Besuch wurde schon im Vorfeld als "historisch" bezeichnet.
Noch vor einem Jahr galt al-Scharaa in den USA als gesuchter Terrorist. Er ist ein früherer Dschihadistenführer. Er saß im "Camp Bucca" ein, einem Gefangenenlager, in dem während der US-Besatzung des Iraks gefährliche Islamisten gefangen gehalten wurden. Seine Islamistenallianz Hayat Tahrir al-Scham, unter deren Führung Baschar al-Assad gestürzt wurde, ist aus einem syrischen Al-Qaida-Ableger hervorgegangen.
Noch kurz vor al-Scharaas Besuch im Weißen Haus ließ Washington den selbst ernannten Präsidenten von einer Liste streichen, auf der die US-Regierung mit Sanktionen belegte Terroristen aufführt. Ein von den USA ausgesetztes Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen US-Dollar auf al-Scharaa wurde bereits kurz nach dem Sturz Assads aufgehoben.
In einem Interview mit Fox News erklärte der syrische Präsident, seine Zeit bei Al-Qaida und seiner Vorgängerorganisation im Irak gehöre der Vergangenheit an und sei mit Trump "nicht besprochen" worden.
Die US-Regierung unter Trump treibt derzeit die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien voran. Ein Teil der Sanktionen wurde bereits per Erlass des US-Präsidenten außer Kraft gesetzt. Über die vollständige Aufhebung der US-Sanktionen können jedoch nicht Trump und die US-Regierung allein entscheiden, sondern nur der US-Kongress. Insofern konnte al-Scharaa lediglich eine Aussetzung der Sanktionen für ein Jahr erreichen.
Die westlichen Sanktionen, insbesondere die von Washington verhängten, haben die syrische Wirtschaft in den vergangenen 14 Jahren stark geschädigt. Seit Beginn des von den USA und der Türkei unterstützten Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat sich die Situation immer weiter verschlechtert. Sie behinderten die internationalen Bemühungen, dem Land humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, und hatten verheerende Auswirkungen auf das tägliche Leben der syrischen Bevölkerung.
Seit dem Machtwechsel in Syrien hegt das Trump-Team die Hoffnung, das Land ins Lager der "Abraham-Abkommen" hinüberziehen zu können – also jener Länder, die Frieden mit Israel geschlossen haben. Trumps Sondergesandter Thomas Barrack erklärte kürzlich am Rande des IISS Manama Dialogue, einer großen regionalen Sicherheitskonferenz, Syrien stehe kurz davor, ein Sicherheitsabkommen mit Israel zu unterzeichnen. Die Abmachung hätte einen gemeinsamen Nenner: die Eindämmung des iranischen Einflusses in der Levante.
Saudi-Arabien und die übrigen Golfstaaten, mit denen sowohl Trumps Familie als auch sein Sondergesandter Steve Witkoff finanziell eng verbunden sind, wollen auf jeden Fall al-Scharaa als Machthaber in Syrien etablieren. Denn sie beharren auf die Rückkehr einer sunnitischen Herrschaft in Syrien, um den Einfluss Irans zurückzudrängen und den massenhaften Schmuggel der am Persischen Golf weitverbreiteten Aufputschdroge Captagon aus Syrien zu unterbinden. Dafür ist ein halbwegs stabiler Staat Syrien notwendig. Schließlich liegt al-Scharaas Position, Iran und seine Proxy-Milizen nach jahrelanger Machtpräsenz zum Schutz des säkularen Staates unter Assad fortan aus Syrien fernhalten zu wollen, exakt auf Linie mit Washingtons und Tel Avivs sowie Riads Politik.
Hinzu kommt, laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, der sich auf westliche und syrische Regierungsquellen beruft, dass sich die USA im Zuge der Annäherung an Damaskus den Aufbau einer militärischen Präsenz auf einem Luftwaffenstützpunkt in der Nähe der syrischen Hauptstadt vorbereiten. Damit wollen die US-Amerikaner den Einfluss Irans und Russlands in Syrien massiv einschränken und eine Sicherheitszone für Israel in der Levante einrichten.
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