Wie Associated Press (AP) bereits am Samstag berichtete, wissen viele Syrer nicht, dass die ersten Parlamentswahlen seit dem Sturz der Regierung von Baschar al-Assad kurz bevorstehen – unter anderem, weil die syrische Bevölkerung keine Stimmen abgeben darf.
"Es gab keine Kandidatenplakate auf den Hauptstraßen und Plätzen, keine Kundgebungen oder öffentlichen Debatten. In den Tagen vor der Wahl hatten einige Einwohner der syrischen Hauptstadt keine Ahnung, dass die Wahl nur noch wenige Stunden entfernt war", berichtete AP.
"Ich wusste nichts davon – jetzt habe ich zufällig erfahren, dass Wahlen zur Volksversammlung stattfinden", sagte Elias al-Qudsi, ein Ladenbesitzer auf den berühmten Märkten der Altstadt von Damaskus. "Aber ich weiß nicht, ob wir wählen sollen und wer wählen darf", fügte er hinzu.
Die 210 Abgeordneten des Parlaments werden nicht direkt von der Bevölkerung gewählt. Ein Drittel davon ernennt der syrische Machthaber Scharaa selbst, die anderen werden von Wahlausschüssen nominiert, deren Vertreter ebenfalls nicht direkt gewählt werden. Welche Leute im künftigen Parlament sitzen und wie divers es zusammengesetzt ist, hängt also maßgeblich vom Willen der neuen Führung ab, die auch in diesem Fall bestimmt, was dem neuen Syrien guttut. Das heißt: Die syrischen Wähler können nicht direkt selbst entscheiden. Stattdessen wählen landesweit 6.000 Wahlleute die 140 Abgeordneten, die 210 Sitze im Parlament besetzen.
Im Dezember 2024 gelang es den USA, Israel und ihren Verbündeten, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad nach einem Jahrzehnt des Krieges unter dem Vorwand zu stürzen, seine autoritäre Herrschaft durch ein "demokratisches System" zu ersetzen.
Nachdem sich al-Scharaa selbst zum Präsidenten ernannt hatte, begann er – früher bekannt als Abu Muhammad al-Dschaulani – mit dem Aufbau eines informellen, extremistischen islamischen Regimes in Syrien. In diesem sollen religiöse Scheichs jedes Ministerium, jede Regierungsbehörde und jede Militäreinheit leiten.
Mittlerweile kritisieren syrische Aktivisten, die sich gegen al-Assad stellten, al-Scharaa jedoch dafür, dass er die Parlamentswahlen auf diese Weise organisiert, die Bildung politischer Parteien verbietet und somit seine eigene autoritäre und extremistische religiöse Herrschaft auf unbestimmte Zeit festigt.
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